Aktionen

Erlebnisbericht Torsten Fehre vom 13. Februar 2010

Vorbemerkung: Die Uhrzeiten sind zum Teil subjektiv aus dem Gedächtnis „geraten“ worden und stimmen nicht unbedingt mit den tatsächlichen Zeitpunkten überein.

Morgens, 8.50 Uhr: Bin leider etwas spät dran. Wollte eigentlich um 9.oo Uhr bei M. in der Neustadt sein. Gerade eben steige ich am Bahnhof Mitte in die 6 * ein. Erst mal keine Durchsage oder ähnliches. Interessant, wenn die Bahn tatsächlich am Neustädter vorbeifahren sollte, dann kann dort ja noch nicht allzu viel los sein. Rufe noch schnell M. an, dass ich mich wohl um ein paar Minuten verspäten werde.

Ca. 8.55 Uhr: Haltestelle Haus der Presse. Eine größere Anzahl Menschen mit Transparenten, der Kleidung und dem Aussehen nach zum linksalternativen Spektrum zuzuordnen, steigt mit in die Straßenbahn ein. Gleichzeitig kommen aber auch fünf Polizeibeamte hinzu, von denen einer mit bayerischem Dialekt sagt, die Kundgebung sei nicht genehmigt und die Zugestiegenen wieder auffordert, aus der Bahn auszusteigen. Einige weigern sich zunächst und beginnen mit den Beamten eine Diskussion darüber, warum sie jetzt aussteigen müssen, andere jedoch nicht. ‚Gut‘, denke ich mir, ‚das kann ja interessant werden. Gleich mal Handy zücken und Kamera aktivieren‘. Leider wird mein Vorhaben von einem der Herren in Grün bemerkt. Ich werde daraufhin auch aufgefordert, die Bahn zu verlassen sowie das aufgenommene zu löschen. OK, viel zu sehen war da eh nicht, bin ich dem halt nachgekommen und aus der Bahn ausgestiegen. Klar, eventuell hätte man auch noch weiter sich beschweren können; allerdings ist die bayerische Bereitschaftspolizei (insbesondere aus Deggendorf) dafür bekannt, dass dort eine gefährliche Mischung aus Korpsgeist in Verbindung mit der Etablierung des „Feindbilds Demonstrant“ entstanden ist. Ich erinnerte mich an die Geschehnisse auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ im September 2009 und entschied mich gegen die Gefahr eines möglichen Krankenhausaufenthaltes. Mit solchen Schickanen muss man halt leben; und an diesem Umstand wird sich leider nicht viel ändern solange nicht mal ein (Piraten-?)Innenministerium die Polizei mit effektiven Instrumenten zur Innenrevision ausstattet.

Kurz nach 9.oo Uhr: Ich schließe mich mit 4 Bambergern zusammen, die auch aus der Bahn geworfen wurden; wir versuchen mal eine andere Brücke. Laufen wir also erst mal zum Postplatz rüber, vielleicht besteht ja auf der Augustusbrücke noch eine Möglichkeit? Ich hatte immer noch die Hoffnung, die wollten eben keine Gegendemonstranten am Bahnhof vorbeischicken wollen; die andere Elbseite sollte ja eigentlich grundsätzlich kein Problem sein. An der Semperoper kam mir dann aber einer entgegen, der uns erzählte „Nein, könnt ihr vergessen“. Also gut, ich hatte mich geirrt; die haben tatsächlich die Stadt zweigeteilt. OK, wieder umkehren. Dies wurde auch von ein paar Berliner Polizisten bemerkt, die sich höflich vorstellten, unsere Peronalien „überprüfen“ und uns kontrollieren wollten. Wir fünf ließen das über uns ergehen, dann konnten wir weiter (d.h. zurück zum Postplatz). Also nix wirklich weltbewegendes. Kurzer Zwischeneinfall: Ich hab ja neulich bei der „Hol Dir Deine Akte“-Aktion des AK Datenbanken mitgemacht und meine IVO-Akte beim LKA angefordert. Mal sehen, ob und wie dieser „Vorgang“ auch vermerkt sein wird, wenn ich sie bekomme 😉

Ca. 9.10 Uhr: Wir beratschlagen kurz. Als „Einheimischer“ schlage ich den Bambergern verschiedene Strategien für weitere Elb-Überquerungsersuche vor: Blaues Wunder, Flügelwegbrücke oder Taxi. Wir entscheiden uns, erst mal das Taxi zu probieren, also auf zum Taxistand am Dr.-Külz-Ring. Die Bamberger konnten per Telefon inzwischen in Erfahrung bringen, dass wohl auf dem Albertplatz mehrere hundert Leute seien, die dort eine Kundgebung abhalten würden. Ich rufe erst mal M. an. Er rät mir sowieso davon ab, zu ihm zu kommen, sein Haus im Hechtviertel sei „umstellt“, er sei grad eben froh, dass er aus seiner Wohnung gekommen gekommen ist, wie er zurück kommen wird, wisse er noch nicht. OK, Verabreden wir uns, in der Nähe der Wohnung von A. zu treffen; dann können wir zum Albertplatz.

Ca. 9.30 Uhr: Das mit dem Taxi hat funktioniert! Wir sind erst mal über die Elbe. Ich hatte dem Fahrer die Adresse von A. in der Albertstraße angegeben; da kommen wir nicht durch. Es ist aber möglich, nach der Carolabrücke rechts und gleich wieder links in die Archivstraße einzubiegen. In Höhe der Fußgängerbrücke bitte ich den Fahrer, uns aussteigen zu lassen. Das ist jetzt erst mal OK. Ich lege meine letzten 7 Euro, die ich noch einstecken habe, zur Taxirechnung hinzu; wir sind erst mal aus dem Taxi heraus.

Ca. 10.oo Uhr: Nach einigen Koordinierungsproblemen treffe ich mich mit M. an der Einmündung von der Glaciestraße in die Bautzner Straße. Ca. 150 Meter vor uns sehe ich zwei orangefarbene Piratenflaggen; zwischen M. und mir besteht sofortiger Konsens über das nächste Ansteuerungsziel. Die Bamberger waren eben noch in meiner Nähe, jetzt seh ich sie nicht mehr. Auch kein Problem; ich habe ihnen geholfen, über die Elbe zum Albertplatz zu kommen, damit war erst mal das Mindestsoll von einer guten Tat am Tag erfüllt .

Ca. 11.oo Uhr: F. und ein paar weitere Piraten sind inzwischen zu uns gestoßen; die Träger der zwei orangefarbenen Fahnen sind aus Augsburg angereist; wir treffen noch andere Piraten aus Hamburg, Berlin sowie anderen Gegenden. Die Unterhaltungen drehen sich größtenteils darum, dass andere Parteimitglieder wie O. noch auf der anderen Elbseite festsitzen. Gedankennotiz für das nächste Mal: Ein Schlauchboot mit ner Piratenflagge wäre jetzt genau das, was man für solche Fälle ganz gut gebrauchen könnte. Katja Kipping von der Linkspartei steht gerade auf der Bühne und spricht einen interessanten Punkt an: In anderen Städten wie Leipzig, Jena oder Köln konnten Nazi-Aufmärsche durch Sitzblockaden verhindert werden, bei denen der Oberbürgermeister der entsprechenden Stadt in der ersten Reihe saß.

Zwischen 12.oo und 13.oo Uhr: F. hat Freunde in der Nähe, die in einer WG wohnen. Er fragt bei ihnen kurz an, ob wir nicht mal bei ihnen uns kurz aufwärmen und mal kurz „für kleine Piraten“ gehen können — logisch, kein Problem. Sehr gut. Endlich Wärme. Und Kaffee.

14.oo Uhr: Wir sind wieder am Albertplatz; die Stimmung ist weiterhin friedlich. Die Polizei spricht mal wieder irgendwas; was natürlich mit einer solchen Lautstärke erwidert wird, dass man die Anweisungen der Polizei, den Platz zu räumen, nicht hören kann. Dies war zu diesem Zeitpunkt allerdings nur symbolisch anzusehen, da man eingesehen hatte, dass es für alle Beteiligten die beste Lösung ist, die Versammlung am Albertplatz letztendlich zu dulden.

Zwischen 14.3o Uhr und 15.3o Uhr: Wir sind wieder in der WG von F.’s Freunden. Wir sind jetzt ein paar Piraten und Nicht-Piraten mehr. Alles kein Problem. An dieser Stelle noch mal ein recht herzliches Dankeschön an die Freunde von F.! Leider verfüge ich über ein sehr schlechtes Namensgedächtnis, so dass ich sie hier nicht erwähnen kann.

Ca. 16.oo Uhr: Wir sind wieder am Albertplatz; soeben wurde von der Bühne offiziell bekannt gegeben, dass der Aufmarsch der Nazis komplett abgesagt wurde. STRIKE!

albertplatz2

Ca. 17.oo Uhr: Ich verabschiede mich von den anderen, die noch da sind; zusammen mit zwei Freunden beschließen wir, eine Kneipe aufzusuchen, um noch etwas zu essen. Den ganzen Tag bin ich noch nicht dazu gekommen; die Bestandteile meines Verdauungssystems haben angeführt vom Magen eine eigene Demo gestartet.

Ca. 17.3o: Ich sitze im Restaurant und checke per Smartphone erst mal, was die populären Medien wie SPON über die heutigen Ereignisse berichten. Meine Stimmung wird leicht getrübt: Kein Sterbenswörtchen über die friedlichen Blockadeaktionen; im Artikel des ehemaligen Hamburger Nachrichtenmagazins liest es sich eher so, als habe die Dresdner Oberbürgermeisterin den Marsch der Nazis durch die Dresdner Neustadt mittels Händchenhalten verhindert. Auch kein Wort von der Dresdner Oberbürgermeisterin über die erfolgreiche Durchsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit für Proteste in Sicht und Hörweite mittels zivilem Ungehorsam.

Ca. 18.3o Uhr: Ich bin wieder zu Hause angekommen. Alles in allem war es doch ein guter Tag.

* Die „6“ ist eine Straßenbahnlinie in Dresden, welche am Bahnhof Dresden Neustadt vorbeiführt und vorher die Elbe überquert. Mit „ich steige in die 6 ein“ ist also gemeint, dass ich einen Wagen der Straßenbahnlinie 6 betrete.

1 Kommentar zu “Erlebnisbericht Torsten Fehre vom 13. Februar 2010

  1. War auch am Albertplatz und teils auf dem Bischofsplatz unterwegs – war echt super Stimmung trotz nassen Füßen und kalten Ohren! 😉 Schlimm finde ich wie Orosz und unser werter Herr Innenminister auch im Nachhinein nicht einsehen, wie viel negative Presse die bösen „linken Blockierer“ der Stadt erspart haben und sich kräftig selber loben…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert