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Wie wollen wir leben – nach Corona?

Auf dem Bild sind 2 Viren zu sehen mit dem Text: Das Leben nach Corona.

Die Corona-Pandemie stellt die politischen Systeme der Welt vor eine der größten Herausforderungen der Geschichte. Das Virus ist eine Herausforderung, gegen die es aktuell weder eine Heilung noch einen Impfstoff gibt. Kontaktverbote, Ausgangssperren und Schulschließungen sind Einschränkungen unseres Alltags, ja, unserer persönlichen Freiheit. Und sie sind im Moment die einzigen Mittel, die wir haben, um eine Ausbreitung zu verlangsamen. Ich möchte im Folgenden allerdings nicht die Aussagen des Robert-Koch-Instituts oder der Johns-Hopkins-University erneut herunterbeten. Stattdessen suche ich zwischen all den schlechten Nachrichten nach Chancen, die diese Zeit aufwirft. Denn irgendwann wird ein Medikament entwickelt und ein Impfstoff hergestellt sein. Doch wollen wir dann weitermachen, als wäre nichts gewesen?

Systemrelevanz

Ein Wort ist seit der Verschärfung der Corona-Krise wieder in aller Munde: Systemrelevanz. Vor einigen Jahren war dieses Wort schon einmal im Trend, nämlich während der Finanz- und Bankenkrise. Milliardenpakete wurden damals von der EU und den einzelnen Staaten geschnürt, um marode Geldinstitute vor dem Ruin zu bewahren.
Und heute?
Heute sind nicht mehr Konzerne systemrelevant, sondern Personengruppen: Menschen in medizinischen Berufen, Verkäufer·innen, Postbot·innen und Paketzusteller·innen, Bus- und Straßenbahnfahrer·innen, Kindergärtner·innen und viele andere Berufsgruppen erhalten plötzlich eine nie dagewesene Anerkennung. Sie sind diejenigen, die sich für andere weiterhin der Gefahr einer Infektion aussetzen.
Doch leider zahlen Anerkennung und Respekt weder die Miete noch Rechnungen. Die meisten der oben genannten Berufsgruppen werden für ihre oft körperlich anstrengende Tätigkeit finanziell nicht ausreichend entlohnt und waren in der Vergangenheit häufig Opfer von Spott, Beleidigungen oder sogar Gewaltverbrechen. Gerade im Gesundheitswesen sind Schichtarbeit bei Mindestlohn und unbezahlte Überstunden keine Seltenheit. Das liegt vor allem daran, dass sich Kliniken und Pflegeeinrichtungen zu reinen Wirtschaftsbetrieben entwickelt haben. Um Kosten zu sparen und Gewinne zu maximieren, wurden Einschnitte beim Wohl des Personals und der Patienten in Kauf genommen. Das zeigt sich an der Belastung der Pflegekräfte, welche sich durchschnittlich häufiger und länger krank melden als Beschäftigte anderer Branchen.
Hier werden Bund, Länder und Kommunen gegensteuern müssen. Medizinische Einrichtungen müssen entkapitalisiert werden, ihr Fokus darf nicht auf Gewinnmaximierung liegen, sondern auf Heilung und Forschung. Medizinisches Personal muss für die geleistete Arbeit besser entlohnt werden, sodass auch am Ende des Arbeitslebens eine ausreichende Rente vorhanden bleibt. Gleiches gilt auch für die anderen systemrelevanten Berufe.

Das Bedingungslose Grundeinkommen

Doch wenn wir einmal ehrlich sind: Welche Jobs sind eigentlich nicht systemrelevant? Wir brauchen Schauspieler·innen genauso sehr wie Ärzt·innen, Frisör·innen genauso sehr wie Lehrer·innen, Baristi genau so sehr wie Verkäufer·innen. Alle Menschen, unabhängig von Alter oder Tätigkeit sind ein Teil des gesellschaftlichen Systems, in dem wir leben und damit relevant.
Deshalb komme ich jetzt zu einem weiteren Schlagwort, welches aktuell durch die SocialMedia-Kanäle schwirrt – zugegeben, es sind zwei: Bedingungsloses Grundeinkommen.

In mehreren Zeitungsartikeln und Fernsehsendungen wird momentan darüber diskutiert. Die besprochenen Optionen sind dabei vielfältig, sowohl in der Höhe als auch in der Dauer der Zahlung. Über change.org läuft aktuell eine Online-Petition an die Bundesminister Olaf Scholz und Peter Altmaier zur Gewährung eines unbürokratischen BGE für sechs Monate. Warum sollten wir uns auf ein halbes Jahr beschränken?
Wir Piraten fordern seit Jahren eine offenes Gespräch rund um das Thema BGE. Mehrere Parteien stellen bereits längere Zeit Recherchen und Rechnungen zu einer möglichen Lösung an. Allerdings dringt davon kaum etwas an die Öffentlichkeit, weil über dem Bedingungslosen Grundeinkommen völlig zu Unrecht das Gespenst des Sozialismus schwebt.
Die allgemeinen Vorteile des BGE sind jedoch vielfältig: Es kann zur Verschlankung des Bürokratieapparats führen, wenn es statt 44 Behörden und 153 Sozialleistungen nur noch eine oder zumindest deutlich weniger gäbe. Niedrigverdienende müssten keine Existenzangst haben. Schüler·innen, Auszubildende und Studierende sähen sich deutlich weniger Stress ausgesetzt, generell würden wir mit dem überholten Leistungsprinzip in der deutschen Schul- und Universitätsbildung brechen können. Und und und.
Auch die Finanzierung des BGE ist kein Hexenwerk! Wirtschafts- und Politikwissenschaftler·innen aus allen politischen Lagern haben verschiedenste Wege aufgezeigt, wie der Staat diese Leistung ohne Einschränkungen meistern könne. Jetzt also müssen wir die Chance nutzen, die uns diese Pandemie hervorgebracht hat. Wenn jetzt der Ruf nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen lauter wird, werden sich die führenden Politiker·innen damit auseinandersetzen müssen. Die Forschung hierzu ist ja bereits vorhanden.

Digitale Lösungen

Ein drittes Thema, welches schon seit Jahren auf der Agenda von Bund und Ländern steht, allerdings nur sehr zaghaft angegangen wurde, ist die Digitalisierung. Der Netzausbau vor allem ländlicher Gebiete Deutschlands, digitale Aufrüstung der Schulen und Weiterbildung der Lehrkräfte, die Vereinfachung von Behördengängen durch e-Government, die Förderung von Innovation und Forschung an Universitäten und in Unternehmen – all das und noch viel mehr umfasst eine erfolgreiche Digitalisierung in allen Lebensbereichen.
Diesen Prozess hat Deutschland verschlafen, und die Kritik daran ist nicht neu. Arbeit im Home-Office ist für viele nicht möglich, weil das Unternehmen die Sicherheit der zu verarbeitenden Daten nicht sicherstellen kann oder weil schlichtweg der heimische Internetanschluss dafür nicht schnell genug ist. Schulstunden fallen ohne Chance auf zügige Nachholung aus, weil die Idee eines digitalen Klassenzimmers die Kultusministerien der Länder nie verlassen hat. Die Tochter eines befreundeten Paares wurde von ihrem Chemielehrer aufgefordert, sich Telekolleg-Folgen anzuschauen. Willkommen im Jahr 1967, viel innovativer wird es für die meisten Schüler·innen nicht mehr.
Anstatt jetzt allerdings die Schuldigen zu suchen, müssen wir den Status Quo als Warnschuss betrachten. Diese Versäumnisse müssen jetzt nachgeholt werden. Das von der Bundesregierung versprochene Milliardenpaket für die Wirtschaft sollte nicht dafür genutzt werden, um wie bisher fortzufahren, sondern um die Digitalisierung in Idee und Praxis umzusetzen.
Zukunft

Systemrelevanz, BGE, Digitalisierung. Ich persönlich freue mich, dass das Interesse an diesen und anderen gesellschaftlichen Themen wächst und offen kommuniziert wird, so unangenehm der Anlass auch sein mag. Dieses Interesse und dieser Aktivismus, der nun vielerorts zu spüren ist, wird notwendig sein.

COVID-19 hat uns auf drastische Art und Weise gezeigt, wer und was unsere Gesellschaft zusammenhält, welche Werte es zu leben gilt und wo wir in Zukunft die Stellschrauben justieren sollten. Wir können nicht so weitermachen wie bisher! Darum fragt jetzt, wie wir nach Corona leben möchten: kommunal, regional und global.

Auf dem Bild sind 2 Viren zu sehen mit dem Text: Das Leben nach Corona.

Bis dahin,

#stayhealthy #staycurious #stayathome

Dies ist ein Gastbeitrag der Neustadtpiraten

2 Kommentare zu “Wie wollen wir leben – nach Corona?

  1. Danke für diesen wichtigen Kommentar!
    Ist genau der richtige Zeitpunkt auch mal das nach vorne gerichtete Programm der Piraten zu bewerben.
    Wie du schreibst, der Anlass ist unangenehm, aber wann wenn nicht jetzt sollte man auf die Problematiken und die daraus entstehenden Chancen hinweisen.
    In der Hektik nach der Krise werden sie im allgemeinen Rauschen untergehen.

  2. Gut gebrüllt, Löwe. Am Ende landest Du doch nur als Bettvorleger.
    Stell Dir vor die Pandemie ist besiegt: was machst Du dann als erstes?
    Hat LV SN überhaupt einen Plan? Ich befürchte: es geht so weiter, als gäbe es Piraten überhaupt nicht.

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