Am Montag, 13. September, fand im sächsischen Landtag eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen statt. Wie wir der Tagesordnung entnehmen können, tagte also der Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien.
Durch eine Anfrage an den Besucher- und Informationsdienst erfuhren wir, dass leider weder eine Live-Übertragung noch eine auch später abrufbare Aufzeichung von öffentlichen Anhörungen vorgesehen sind.
Ein Protokoll der Sachverständigen-Anhörung sollte in ca. 2 Wochern online verfügbar sein. Ab dem 18. Oktober, der nächsten Ausschusswoche im sächsischen Landtag, soll der Ausschuss über eine Empfehlung beschließen. Danach geht der – von den Ministerpräsidenten bereits im Juni unterzeichnete – Entwurf des 14. Jugendmedienschutz-Staatsvertrages mit der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses in den Landtag.
Doch zum eigentlichen Inhalt der Sachverständigen-Anhörung:
Es waren sieben von acht eingeladenen „Experten“ anwesend.
- Birgit Braml, die stellvertretende Leiterin der KJM- Stabsstelle (Kommission für Jugendmedienschutz), hob die positiven Effekte von sogenannten Jugendschutzprogrammen hervor, die von den Telekommunikationsanbietern, leicht auffindbar für Eltern, angeboten werden sollen. Mindestens eines soll kostenlos angeboten werden und es den Eltern ermöglichen, ihren Kindern den Zugang zu nicht altersgemäßer Software (Computerspiele) und WWW-Inhalten zu „erschweren“. Weiterhin war sie von der Sinnhaftigkeit der sogenannten regulierten Selbstregulierung überzeugt. Dies ging sogar so weit, dass sie sich „vorstellen“ könne, Betreiber von Social Communities (Twitter, facebook u.A.) zur redaktionellen Überarbeitung der Benutzerbeiträge „anzuhalten“. Ihr schwebte dabei ein Verhältnis von 1:100 vor, was angesichts von ca. 7 Millionen Nutzern bei StudiVZ nicht nur utopisch, sondern auch weltfremd klingt. Sie führte drei Aspekte an: 1. “’Freiwillige“‘ Selbstkontrolle, 2. Übernahmeverfahren, 3. Schutzprogramme; Stichworte: Vorwürfe der Zensur bzw. des „Zwanges“ seien haltlos und kontraproduktiv, es sei größtenteils “’freiwillig“‘ von Anbieterseite.
Der Haken an den Jugendschutzprogrammen ist zum Einen der, dass (noch) gar kein ausgereiftes und anerkanntes existiert, zum Anderen, dass selbst Jugendliche dazu in der Lage sind, den heimischen Computer mittels einer sogenannten „Start-CD“ zurückzuerobern. (Die Piraten empfehlen dazu, möglichst freie, offene Software zu verwenden ;-))
D.h. alle getesteten Programme haben als negativen Effekt ein sogenanntes „Overblocking“, welches dazu führt, dass auch absolut „harmlose“ Seiten für Jugendliche nicht erreichbar sind. Dies widerspricht eklatant dem Recht auf Informationsfreiheit.
- Als zweiter sogenannter „Experte“, in diesem Fall sogar zurecht, wendete sich Jürgen Ertelt von der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit e.V. an die Mitglieder und Zuschauer der Ausschusses. Sein Fokus lag auf der Medienkompetenz der Eltern, deren ureigenste Aufgabe in der Erziehung ihrer Kinder liegt. Er ist der Meinung, dass der Begriff „Medium“ als Umschreibung für das Internet zu kurz greife.
- Prof. Dr. Hannes Federrath (Universität Regensburg, Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik 4 – Management der Informationssicherheit) führte aus, dass das Internet eben keine Ein-Weg-Kommunikation (mehr) sei; Jugendschutzprogramme hätten keine Schutzfunktion, sondern generierten „einfach nur“ weitere Informationen.
- Claus Grewenig (Stellvertetender Geschäftsführer des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien e.V.) tat sich als Lobbyist hervor und verteidigte den wirtschaftsfreundlichen 14. JMStV.
- Martin Heine (Direktor der Medienanstalt Sachsen-Anhalt) tat sich als Lobbyist hervor und verteidigte den wirtschaftsfreundlichen 14. JMStV.
- Alexandra Koch-Skiba (Leiterin der Beschwerdestelle von eco, Verband er dt. Internetwirtschaft e.V.) gab an, dass es eben keine Kontrolle der Inhalte durch Hostbetreiber geben soll (lt. Telemediengesetz, TMG).
- Prof. Dr. Kurt Starke (Jugendforscher, Soziologe, Sexualwissenschaftler) hob die Neugier des Menschen bzw. speziell die von Jugendlichen nach „Verbotenem“ hervor, das (sexuelle) Selbstbestimmungrecht und, dass nur eine Minderheit der Jugendlichen (regeläßig) „pornographisches“ Material konsumieren.
Zusammenfassung:
Es lief ähnlich ab wie bei der Anhörung zum Thema Internetsperren im Petitionsausschuß (oder war’s der Wirtschaftsausschuß) des Bundetages. Die Experten haben gute Argumente gegen eine Änderung des JMStV gebracht, die „Lobbiysten“ der Wirschaft(s-Verbände) haben ihre „Argumente“ geliefert; alles in allem sind noch sehr viele Fragen offen, sodass pirat – zugegeben: ein optimistischer – vermuten könnte, es gäbe noch Änderungen. Dem wird „traditionsgemäß“ nicht so sein 🙁
Anekdote zum Schluß: Der Beamer zeigte zu Beginn die Meldung „Bitte Filter reinigen!“
_____________________________________________
Linksammlung zum Thema:
- Begründung für den 14. JMStV
- Kritik am 14. JMStV
- Text des 14. JMStV in der von den Ministerpräsidenten am 10.06.2010 verabschiedeten Version
- Enquetekommission des Bundestages zu Internet bzw. Medienkompetenz
- Ein europäisches Konzept für die Medienkompetenz im digitalen Umfeld
- Protokollerklärung der Länder zum 14. JMStV
- Wer sich im Netz nicht auskennt, der wird irgendwann abgehängt – Die Internet-Enquete richtet Arbeitsgruppe zur Medienkompetenz ein
- Zensur im Internet (Wikipedia)
Autor: Fidel Karsto
Man sollte noch erwähnen, dass die Filteroptionen der sogenannten „Jugendschutzprogramme“ zu restriktiv sind, dass der Staat diese fördern sollte.
So bieten viele verbreitete Jugendschutzprogramme die Option, politische Inhalte auszublenden, was u.A. dazu führte, dass sich Piraten in einem Saturn-Internetcafe nicht mal schnell im Piratenwiki informieren konnten, wo und wann genau der Stammtisch stattfindet.
Welchen Schaden sollen Kinder und Jugendliche erleiden, wenn sie sich über Politik informieren wollen?