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Politischer Protest in Zeiten von Corona – unterschiedliche Maßstäbe bei der Polizei?

Eine Gruppe Menschen bei Nacht mit Transparenten auf einer Straße

Ein Gastbeitrag von Anne Herpertz

Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen betrafen viele Grundrechte, so auch die Versammlungsfreiheit. Es gab, je nach Bundesland oder Kommune, unterschiedliche Einschränkungen und Auflagen für Versammlungen – zum Beispiel begrenzte Teilnehmendenzahlen, stationäre Kundgebungen, die nicht laufen durften und Maskenpflicht auf Demos. Dieser Beitrag beschäftigt sich weniger mit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Maßnahmen, sondern eher mit der unterschiedliche Durchsetzung durch Ordnungsamt und Polizei in Sachsen – je nach politischem Spektrum. Anlass dieses Textes ist eine kürzlich erschienene Studie des Komitees für Grundrechte, die sich mit dem unterschiedlichen Umgang mit verschiedenen politischen Protesten auseinandersetzt. Während die Studie den Umgang der Polizei mit Pandemie-Leugner:innen und linken Protesten in Leipzig vergleicht, versucht dieser Beitrag, die äquivalente Situation für Dresden zu schildern. Dabei ist anzumerken, dass der verschwörungsideologische Protest („Querdenken“) nach und nach immer mehr Neonazis und Neurechte anzog (Freie Sachsen, III. Weg, Freie Kameradschaft Dresden, AfD, Junge Alternative, …). Diese bilden Stand heute die Mehrheit in den immer kleiner werdenden Aufzügen.

Teil 1: Polizeiaufgebot und Verstöße gegen Versammlungsauflagen

In Dresden konnte sehr lang beobachtet werden, wie Proteste aus dem verschwörungsideologischen und neurechten Spektrum von der Polizei fast gänzlich unbegleitet durch die Stadt zogen. Dabei waren diese Aufzüge fast nie angezeigt, es gab bewusst keine Versammlungsleitung, keine angezeigte Strecke und sowieso keine Masken. Solche unangezeigten und gegen aktuelle Gesetze verstoßende ‚Demonstrationen‘ muss die Polizei eigentlich auflösen. Das ist in über einem Jahr Protestgeschehen lediglich ein Mal(!) in Dresden passiert. Das Polizeiaufgebot war, solang es keinen Gegenprotest gab, sehr gering. Oftmals ist die Polizei nur hinter dem Pandemie-Leugnungs-Aufzug hergezogen, Oftmals ist die Polizei nur hinter dem Pandemie-Leugnungs-Aufzug hergezogen, scheinbar unfähig oder überfordert, dem irgendetwas entgegenzusetzen.

Dabei vereinnahmten die nicht-angezeigten Proteste u.a. ganze Bundesstraßen und große Plätze in der Innenstadt oder anderen Stadtteilen Dresdens. Nur sehr selten gab es ID-Feststellungen wegen Verstoß gegen das Versammlungsrecht oder wegen Landesfriedensbruch. Zunehmend wurden Journalist:innen angegriffen und die Polizei konnte ihnen keinen Schutz zusichern (oder war teilweise einfach nicht anwesend). Alle diese Schwurbel-Aufzüge waren in einschlägigen Telegram-Gruppen Tage zuvor angekündigt worden und offen für jede:n einsehbar. Ein Informationsdefizit seitens der Polizei ist somit nicht erklärbar.

Teil 2: Auftritt Gegenprotest

Im Januar 2022 bildete sich in Dresden ein mehr oder minder organisierter Gegenprotest zu den Leugner:innen-Aufzügen. Wobei Gegenprotest schon fast der falsche Begriff ist, da die „Querdenken? Querstellen!“-Versammlungen die einzig angezeigten Versammlungen waren und sind. Da die „Querdenken? Querstellen!“-Proteste eben angezeigt sind und die der Pandemie-Leugner:innen nicht, war es möglich, versammlungsrechtlich geschützt zu blockieren. In diesen Fällen muss die Polizei den angezeigten Protest schützen. Manchmal gelang es, die verschwörungsideologischen Aufzüge umzulenken oder zum Umdrehen zu bewegen. Ab und an war es sehr brenzlig, da das verminderte Polizeiaufgebot nicht in der Lage war, den angezeigten Protest vor den teils aggressiven Leugner:innen zu schützen. Side fact: Oftmals bekam die Polizei die Informationen über mögliche Strecken der Leugner:innen vom Gegenprotest. Das ist nicht nur fatal, sondern zeigt, wie unfähig die Polizei im Umgang mit den nicht-angezeigten Aufzügen war.

Teil 3: Die Eskalation auf der Straße

Am 21. Februar 2022 kam es zu mehreren fatalen Ereignissen in Dresden. Die Polizei war mehrmals nicht fähig, den angezeigten Protest gegen die Pandemie-Leugner:innen zu schützen. Auf der Lennéstraße ließ die Polizei den nicht-angezeigten Leugner:innen-Aufzug durch den Gegenprotest durchbrechen, eine Trennung der Proteste wurde nicht vorgenommen. Hier sei nochmal anzumerken, dass zu diesem Zeitpunkt bereits sehr viele gewaltbereite und vorbestrafte Neonazis im vermeintlichen „Querdenken“-Protest zu finden waren. Noch schlimmer wurde es später an diesem Abend an der Wilsdruffer Straße, als der nicht-angezeigte aggressive Aufmarsch gewaltsam eine Polizeikette und den angezeigten Gegenprotest durchbrach. Mehrere Teilnehmende des angezeigten Protestes und auch Polizist:innen wurden dabei verletzt. Das ganze Geschehen von oben könnt ihr hier noch einmal ansehen. Auch hier: Viel zu wenig Polizei um den angezeigten Protest zu schützen, eine lediglich einreihige Polizeikette und sogar unbehelmte Polizist:innen zeigen, dass die Polizei die Gewaltbereitschaft der vermeintlichen „Querdenker“ massiv unterschätzt (hat) und nicht in der Lage war, versammlungsrechtlich geschützten Protest zu gewährleisten. Auch an diesem Abend gab es lediglich drei Anzeigen wegen Verstößen gegen Versammlungsrecht und eine wegen Landesfriedensbruch. Keine einzige wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte oder ähnlichem.
Wenige Wochen später griff ein stadtbekannter Neonazi (Freie Kameradschaft Dresden, vorbestraft wegen den rechtsextremen Ausschreitungen in Heidenau 2015), der vom vermeintlichen „Querdenken“-Protest kam, einen Teilnehmenden des angezeigten Gegenprotestes mit einem Kugelschreiber am Hals an. Zwischen beiden Gruppen standen keine Polizist:innen. Da insgesamt wieder zu wenige Polizist:innen anwesend waren, konnte sich der Angreifer in den angrenzenden REWE absetzen und die Polizist:innen warteten vor dem Laden bis er wieder herauskam, um ihn festzunehmen.

Festzuhalten bleibt: Monatelang hat die Polizei die nicht-angemeldeten „Querdenken“-Proteste einfach laufen lassen, teils sogar ohne überhaupt Präsenz zu zeigen – trotz massiver Verstöße gegen potentielle Auflagen und ohne eine Versammlungsleitung auszuweisen. Das hat Journalist:innen und Gegenprotest oftmals in sehr gefährliche Situationen gebracht. Ohne das gelegentliche „Blockieren“ durch die Personen rund um „Querdenken? Querstellen!“ hätte die Polizei wahrscheinlich ihre Präsenz nicht erhöht und alles wäre wie zu Beginn weitergegangen. Nachdem über mehrere Wochen hinweg dank der Blockaden der nicht-angezeigte verschwörungsideolgische Aufzug gelenkt werden konnte, übernahm teilweise auch endlich die Polizei die Lenkung des Aufzugs ohne Versammlungsleitung und gab manchmal die Routen vor. An vielen weiteren Stellen war und ist der Gegenprotest trotzdem nötig, da so die Polizei den versammlungsrechtlich geschützten Protest sichern musste, somit keine Wahl hatte und den „Querdenken“-Protest Einhalt gebieten musste. Man stelle sich für einen Moment vor, eine nicht-angezeigte linke Demonstration in Sachsen nimmt sich einfach Bundesstraßen und die Polizei sähe zu.

Doch es lassen sich auch langsam weitere Unterschiede im Umgang der Polizei mit den nicht-angezeigten Protesten ausmachen, die für sich sprechen. Dazu ist aber noch anzumerken, dass die Polizeipräsenz erhöht wurde, während die Teilnehmenden-Zahlen des „Querdenken“-Aufzugs sinken. Am 21. März 2022 wurde ein Schwurbelauflauf zum ersten Mal wegen fehlender Versammlungsleitung aufgelöst. Und erst kürzlich ließ die Polizei einen nicht-angemeldeten Protest erst gar nicht loslaufen und stellte mehrere Anzeigen wegen Verstoß gegen Versammlungsgesetz inkl. Platzverweise aus.

Main Fazit: Es ist erfreulich, dass der „linke Protest“ zu mehr Aufmerksamkeit gegenüber den Schwurblern bei der Sächsischen Polizei geführt hat – es macht aber gleichzeitig fassunglos, dass es linker Proteste berurfte, damit die Polizei fundamentale Grundsätze des Versammlungsrechts zumindest in Ansätzen einzuhalten gedenkt.