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Unsere Bundesregierung – Die neue Hoffnung für den Feminismus?

Bild mit zwei Frauen, die auf den Schriftzug "Neue Hoffnung für den Feminismus?" schauen.
Neue Hoffnung für den Feminismus? - Bild: Craig Adderley/gemeinfrei

Die Hoffnungen sind immer noch groß: „Mehr Fortschritt wagen“ ist der Titel des aktuellen Koalitionsvertrages unserer Bundesregierung. Ja, auch wir wollen mehr Fortschritt wagen! Mehr Gleichstellung wagen! Mehr Feminismus wagen!

Die neue Regierung hat vielen neue Hoffnung gegeben, dass es endlich auch beim Thema Feminismus voran geht. Wir nehmen den heutigen feministischen Kampftag zum Anlass, uns drei Punkte aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grüne und FDP näher anzusehen.

Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Wusstet ihr, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland kein verpflichtender Teil der ärztlichen Ausbildung sind? Im Gegenteil, um die dafür notwendigen Techniken zu lernen, organisieren sich mancherorts Studierende in ihrer Freizeit, um an Papayas Absaugungen zu üben . Oder wusstet ihr, dass Ärzt·innen in Deutschland keine Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereit stellen dürfen, ohne sich nach § 219a StGB strafbar zu machen?

Beides möchte die neue Regierung ändern: Sie will Schwangerschaftsabbrüche als Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung etablieren und den § 219a StGB streichen. Wir begrüßen diese Pläne und können es kaum erwarten, dass diese endlich umgesetzt werden.

Aber eine wichtige Frage haben wir noch: Was ist mit der Strafbarkeit der Personen, die Schwangerschaftsabbrüche bei sich durchführen lassen? Aktuell regelt der § 218 StGB, dass Schwangere, die einen Abbruch durchführen lassen, mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können. Straffreiheit gibt es nach § 218a StGB nur, wenn der Abbruch nach einem Termin bei einer Beratungsstelle, durch eine·n Ärzt·in und innerhalb der ersten 12 Wochen erfolgt.

Hierbei ist zu betonen, dass es sich lediglich um eine Straffreiheit handelt. Nach dem aktuellen Gesetz handeln Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, immer noch rechtswidrig. Sprich, laut Gesetz begeht eine schwangere Person, die eine Abtreibung vornehmen lässt, immer noch ein Unrecht. Von Selbstbestimmung über den eigenen Körper der Schwangeren kann hier also nicht die Rede sein, sondern von Stigmatisierung und dem Festhalten an moralischen Grundsätzen, die Schwangerschaftsabbrüche ablehnen. Aber kein Wunder, die gesetzlich festgelegte Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland hat letztes Jahr ihr 150-jähriges Jubiläum gefeiert.

Wäre es dann nicht fortschrittlich, den § 218 StGB endlich komplett abzuschaffen, liebe Bundesregierung?
Hier bleibt der Koalitionsvertrag leider sehr unpräzise. Zitat: „Wir setzen eine Kommission [zu…] Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches […ein.]“
Eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches klingt zwar erst einmal gut, aber der § 218 StGB wird überhaupt nicht namentlich im Koalitionsvertrag genannt. Der § 219a StGB hingegen schon.
Es bleibt die fade Vermutung, dass die schwammige Formulierung Raum lassen soll, sich eben noch nicht festzulegen. Auch wenn gesellschaftlich die Abschaffung des § 219a StGb große Unterstützung findet, sind viele beim § 218 StGB noch voreingenommen. Oft wird argumentiert, die Streichung des § 218 StGB würde zu viele Menschen vor den Kopf stoßen und keine gesellschaftliche Mehrheit finden. Dass der § 218 StGB nicht namentlich genannt wird, lässt also großen Raum für Interpretationen.

Wir von der Piratenpartei setzen uns für eine Streichung der §§ 218, 219 und 219a StGB ein und fordern eine gesetzliche Neuregelung.

Hoffen wir, dass unsere Regierung diese Position teilt und nicht nur halbherzige Reformen anstößt.

Patchwork-Familien und Verantwortungsgemeinschaften

Familien sind mehr als „Mutter, Vater, Kind“ – vor allem bestehen Familien oft aus mehr als nur zwei Erwachsenen. Für ein Kind sind Stiefeltern oft genauso ihre Eltern wie leibliche Eltern und ein Kind hat dadurch statt einer auch mal zwei oder drei Mütter.
Für solche Konstellationen soll das „kleine Sorgerecht“ ausgeweitet und zum eigenen Rechtsinstitut weiterentwickelt werden und auch auf bis zu zwei weitere Erwachsene (also insgesamt bis zu vier) ausgeweitet werden. Aktuell wird unter dem „kleinen Sorgerecht“ die Situation beschrieben, dass die Ehepartner·innen von alleinig sorgeberechtigten Eltern in Alltagssituation Entscheidungen treffen dürfen.

Um eine lebensnahe Neuregelung zu schaffen, sollte die Begrenzung auf einzelne Partner·innen der Eltern komplett entfallen. Je nach Lebenssituation können auch nahe Verwandte wie Großeltern oder enge Freund·innen der Familie die wichtigsten Bezugspersonen für ein Kind sein. Leben zwei alleinerziehende Elternteile zusammen in einer Wohnung, um sich bei der Kindererziehung zu unterstützen, sollte auf Wunsch das Sorgerecht ebenso ausgeweitet werden können, wie wenn ein Kind in einer polyamorösen Familie mit 3 oder mehr Erwachsenen in einem Haushalt aufwächst.
Diesen Konstellationen soll laut Koalitionsvertrag das [Institut der Verantwortungsgemeinschaft […, in der] zwei oder mehr volljährige[…] Personen […] rechtlich füreinander Verantwortung […] übernehmen], mit Neuregelungen zur Elternschaft gerecht werden.

Wir begrüßen diese längst überfälligen Neuerungen. Schließlich geht es in einer Familie darum, Verantwortung füreinander zu übernehmen und füreinander da zu sein und nicht um die Erhaltung des Bildes „Mutter, Vater, Kind“. Deshalb sollten wir allen Familienkonstrukten die Möglichkeit geben, auch rechtlich füreinander einzustehen und nicht nur einigen ausgewählten.

Abschaffung Transsexuellengesetz

Transgender Personen erfahren in unserer Gesellschaft immer noch viel Stigmatisierung. Die Palette reicht vom Absprechen der eigenen Geschlechtsidentität bis hin zu purem Hass.

Gerade trans Personen in der Öffentlichkeit werden immer wieder angefeindet.

Und als würden diese gesellschaftlichen Hürden nicht ausreichen, müssen sie in Deutschland aktuell einen über Jahre andauernden Marathon zwischen Behörden, psychologischen Behandlungen und oft demütigenden ärztlichen Untersuchungen über sich ergehen lassen, bis sie endlich geschlechtsangleichende Behandlungen veranlassen dürfen. Die Kosten für dieses Martyrium, was für viele Menschen traumatisierend sein kann, müssen sie auch noch zu großen Teilen selbst zahlen. Grund dafür ist das in Deutschland geltende Transsexuellengesetz. Dieses soll in der kommenden Legeslaturperiode abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden.
In diesem neuen Selbstbestimmungsrecht sollen [ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft [ermöglicht …], ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot und eine Stärkung der Aufklärungs- und Beratungsangebote] geregelt sein.
Geschlechtseinträge nach Selbstauskunft und mehr Angebote zur Aufklärung und Beratungsangebote werden versprochen – und oben drauf sollen die Behandlungskosten auch noch von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
Nach den aktuellen Regelungen klingen die Ziele unserer Bundesregierung fast zu gut, um wahr zu sein. Hoffen wir, dass sie diese auch so umsetzen werden. Wir erinnern sie jedenfalls daran.

Fazit

Unser Fazit lautet: Im Koalitionsvertrag unserer Bundesregierung gibt es viele gute Ansätze, aber oft, wenn es spannend wird, erhalten wir nur unklare Andeutungen.
Zudem ist Papier geduldig. Ohne Druck aus der Zivilgesellschaft und von anderen Parteien können die Versprechungen unserer Regierung schnell in den Hintergrund geraten. Deshalb lasst uns nicht nur heute, sondern an allen Tagen laut sein für ein modernisiertes Reproduktionsrecht, für ein an unsere Leben angepasstes Familienrecht und für einen respektvollen Umgang mit allen Geschlechtern. Lasst uns laut sein für eine feministische und menschenfreundliche Politik.