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Bildungspolitik in Sachsen: Reform statt Symptombehandlung

Screenshot des offenen Briefes

Offener Brief der Piratenpartei Sachsen

Als Piratenpartei Sachsen stehen wir an der Seite der Lehrerinnen und Lehrer, die täglich unter immer schwieriger werdenden Arbeitsbedingungen den Bildungsauftrag erfüllen. Die aktuell vom Sächsischen Kultusministerium (SMK) und Kultusminister Conrad Clemens vorgeschlagenen Maßnahmen im Schulbereich verschärfen aus unserer Sicht nicht nur bestehende Probleme, sie offenbaren auch ein grundsätzliches strukturelles Versagen der Bildungspolitik im Freistaat in den letzten Jahrzehnten.

Wir erkennen an, dass das Schulsystem in Sachsen – insbesondere im ländlichen Raum und an Oberschulen – vor massiven Herausforderungen steht. Doch anstatt die Ursachen dieser Misere klar zu benennen und anzugehen – darunter jahrzehntelange Unterfinanzierung, unattraktive Arbeitsbedingungen und ein Mangel an nachhaltiger Personalplanung – werden nun kurzfristige Maßnahmen ergriffen, die auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen werden.

Viele Lehrkräfte arbeiten bereits heute deutlich über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist kaum mehr gewährleistet. Besonders junge Kolleginnen und Kollegen, darunter auch Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger, ziehen daraus Konsequenzen: Sie entscheiden sich bewusst gegen eine Verbeamtung, um sich die Möglichkeit zum Ausstieg aus einem überlasteten System offen zu halten. Gleichzeitig denkt ein wachsender Teil der älteren Lehrkräfte über eine frühzeitige Pensionierung nach. Mit den vorliegenden Maßnahmen von Herrn Clemens wird deutlich, dass eine tatsächliche Reform der sächsischen Bildungspolitik nicht zu erwarten ist.

Wir fordern einen echten Kurswechsel in der Bildungspolitik.

Anstatt weiterer Belastung braucht es nachhaltige Entlastung und eine Stärkung des Lehrerberufs – nicht nur in Worten, sondern in konkreten Maßnahmen. Dazu zählen für uns:

  • Zielgerichtete Digitalisierung statt zergliedertem Online-Wildwuchs – wir fordern ein zentrales, benutzerfreundliches Online-Portal für Schülerinnen, Eltern und Lehrkräfte, das sowohl den Anforderungen des Unterrichts als auch der Verwaltung gerecht wird. Lernsax, SaxSvS, Schulportal sind für sich genommen brauchbar, jedoch zu zergliedert, um effektiv genutzt werden zu können.
  • Förderung von Gerechtigkeit – durch eine gerechtere Belastungsverteilung zwischen den Fächern und transparente Anrechnungsmodelle.
  • Verbindliche Standards für Vor- und Nachbereitungszeiten – realistische Zeitansätze für Unterrichtsplanung und Korrekturen, um Qualität abzusichern und tatsächlichen Arbeitsaufwand sichtbar zu machen.
  • Abbau des administrativen Mehraufwands – durch gezielte Investitionen in Schulverwaltung und nicht-pädagogisches Personal sollen Lehrkräfte sich wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können.
  • Finanzielle Anerkennung und Entlastung von Zusatzaufgaben wie Klassenleitung oder Tutorenrolle.
  • Dauerhafte Unterstützung durch schulische Sozialarbeit – multiprofessionelle Teams entlasten Lehrkräfte und sind unverzichtbar für die Bearbeitung sozialer Herausforderungen. Die langfristige Finanzierung dieser Strukturen muss garantiert werden.
  • Vermeidung von Generationenkonflikten – keine Maßnahmen, die einzelne Gruppen im Kollegium gegeneinander ausspielen, etwa durch unterschiedliche Bedingungen bei Verbeamtung oder Arbeitszeiten.
  • Faire Arbeitszeiterfassung und Vergütung – unter Einhaltung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2022, inklusive Ausgleich für Überstunden.
  • Entlastung statt Belastung – nachdem älteren Kolleginnen und Kollegen zunächst eine erzwungene Teilzeitbeschäftigung auferlegt wurde und die anschließende Verbeamtung einen Keil zwischen Jung und Alt im Kollegium trieb, sollen sie nun auch noch auf Entlastungsstunden verzichten, die bislang ein fester Bestandteil ihrer Arbeitsbedingungen waren. Statt Entlastung wird erneut Mehrarbeit gefordert – von jenen, die ein über Jahre hinweg überlastetes System überhaupt erst am Laufen gehalten haben. Das ist nicht nur fachlich unklug, sondern vor allem ein respektloser Umgang mit langjährig engagierten Lehrkräften, die ihre Kraft seit Jahrzehnten in dieses System investieren.
  • Einhaltung des geltenden Beamtenrechts – Maßnahmen, die tief in das Dienstrecht eingreifen, wie etwa verpflichtende Mehrarbeit, bedürfen einer sauberen juristischen Grundlage. Gesetzgeberische Umgehungen oder Sonderregelungen für einzelne Berufsgruppen untergraben das Vertrauen in den öffentlichen Dienst und gefährden die rechtliche Stabilität des Beamtenverhältnisses.
  • Klares Nein zur sogenannten Vorgriffsstunde – die Einführung einer zusätzlichen Unterrichtsstunde für Lehrkräfte ist nicht nur bildungspolitisch fragwürdig, sondern verfassungsrechtlich bedenklich. Sie stellt eine strukturelle Mehrbelastung dar, die langfristig auf alle Beamtinnen und Beamten im Freistaat ausstrahlen könnte. Wir lehnen diesen Präzedenzfall entschieden ab.

Nach über 30 Jahren Regierungsverantwortung ist es an der Zeit, dass sich die CDU – und in seiner Funktion als Kultusminister auch Conrad Clemens – der eigenen Verantwortung für den Zustand des sächsischen Bildungssystems stellt. Wer die politischen Entscheidungen über Jahrzehnte hinweg maßgeblich geprägt hat, kann sich der Verantwortung für deren Folgen nicht entziehen. Statt kontraproduktiver Maßnahmen für die Beschäftigten braucht es endlich die Bereitschaft, Versäumnisse anzuerkennen und echte strukturelle Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

Wir sagen klar: Bildung ist keine Ressource, die beliebig ausgequetscht werden kann. Wer die Zukunft unseres Landes sichern will, muss endlich beginnen, das Bildungssystem nachhaltig zu reformieren – gemeinsam mit den Menschen, die dieses System tragen, nicht gegen sie.

Wir fordern das Kultusministerium und insbesondere Herrn Staatsminister Conrad Clemens auf, die Stimme der Lehrkräfte ernst zu nehmen und die aktuellen Reformvorschläge grundlegend zu überarbeiten. Nur so kann Vertrauen zurückgewonnen und ein echter, zukunftsfähiger Wandel in der Bildungspolitik angestoßen werden.