Ein Beitrag des bildungspolitischen Sprechers der PIRATEN Sachsen, Matthias Stein.
Am heutigen Tag berät der Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien nicht öffentlich über den jüngsten Änderungsantrag der Staatsregierung.
Unter dem sperrigen Titel Drucksache 5 / 9089 Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Bestimmungen möchte die Staatsregierung das Sächsische Hochschulgesetz in ein Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz überführen.
Klingt gut – mehr Freiheit ist wohl eine Forderung, der keiner widersprechen würde und wir PIRATEN setzen uns ja ohnehin für die Stärkung individueller Freiheitsrechte ein.
Wirft man aber einen genaueren Blick auf das Vorhaben, fragt man sich unmittelbar, welcher Freiheitsbegriff dort Anwendung finden soll. So sollen dem § 24 Absatz 1 des Sächsischen Hochschulgesetzes folgende Sätze angefügt werden:
„Studenten können ihren Austritt aus der verfassten Studentenschaft erstmals nach Ablauf eines Semesters erklären. Ein Wiedereintritt ist möglich. Der Austritt aus der Studentenschaft und der Wiedereintritt sind schriftlich mit der Rückmeldung zu erklären.“
Was so unscheinbar daherkommt, entpuppt sich als direkter Angriff auf die verfasste Studierendenschaft und damit auf die Demokratisierung der Hochschulen.
Doch der Reihe nach.
Was passiert hier eigentlich?
Ein Austritt aus der verfassten Studierendenschaft bedeutet für die einzelne Person beispielsweise zuerst einmal darauf zu verzichten, die Zusammensetzung der Fachschaftsräte, des Senats und erweiterten Senats mittels Wahl zu beeinflussen. Im Gegenzug wird der Semesterbeitrag sinken, nämlich genau um den Betrag, der derzeit an die verfasste Studierendenschaft abgeführt wird.
Diese Ersparnis dürfte sich, je nach Universität, zwischen fünf und acht Euro bewegen. Fünf bis acht Euro – das wären pro Semester wahlweise eine Schachtel Zigaretten, ein Reader für das Seminar oder mit etwas Glück auch ein Besuch im Kino. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Und die Qual könnte größer werden, als man es sich derzeit vorzustellen vermag.
Mit dem Wahlrecht verzichtet man nämlich zugleich auch auf die Vorzüge einer verfassten Studierendenschaft:
- Bafögberatung, Sozialberatung, psychologische Beratung
- soziale und kulturelle Veranstaltungen
- das Einbringen und die Förderung eigener studentischer Projekte
Gleichzeitig schwächt man auch die Verhandlungsposition des eigenen StuRa, beispielsweise wenn es darum geht, die Konditionen des neuen Semestertickets auszuhandeln. Mit 20.000 Studierenden im Rücken verhandelt es sich leichter mit den Verkehrsbetrieben, als etwa mit 10.000.
Der Zugewinn an eigener Freiheit geht in den zuvor aufgezählten Fällen immer zu Lasten der Freiheit anderer. Und Freiheit, die zu Lasten anderer erworben wird, ist keine Freiheit, sondern purer Egoismus.
Ein klarer Angriff auf das Solidarprinzip
Die Universität war schon immer mehr als nur ein reiner Ort der Forschung und Lehre. Sie ist ein Ort von Freundschaft, Liebe, Glück, Erfolgen, dem Austesten der eigenen Belastungsgrenzen und der Partizipation unterschiedlichster Kulturen und Subkulturen. Und sie war schon immer ein Ort des Stresses, von Misserfolgen, (Prüfungs-)Angst, persönlichen Belastungen und Finanzsorgen.
Kurzum: sie war und ist ein sozialer Raum, in dem die gewöhnlichen Höhen und Tiefen des Lebens ebenso zum Tragen kommen, wie in jedem anderen Lebensabschnitt.
Wir als Gesellschaft wissen darum und haben dafür Sorge getragen, dass all diese Unwägbarkeiten durch solidarische Prinzipien ausgeglichen werden. Es ist nur schwer vorstellbar, warum dies plötzlich für die Universitäten nicht gelten sollte.
Ein klarer Angriff auf die demokratische Gestaltung der Hochschulen
Die verfasste Studierendenschaft in Sachsen ist eine Errungenschaft der friedlichen Revolution. Die allseits um sich greifenden Reformbestrebungen hielten nicht vor den Toren der sächsischen Universitäten inne, sondern versuchten das Monopol der FDJ an den Universitäten aufzubrechen. Das Prinzip der parteiunabhängigen StuRä sollte dabei sicherstellen, daß alle studentischen Interessengruppen partizipieren konnten, aber auch, dass die Studierendenschaft in den universitären Gremien vertreten wurde und Gehör fand. In einem Zeitalter, in dem wir in immer stärker werdender Weise von der Demokratisierung von Schulen und Bildungseinrichtungen reden, kann der Vorstoß der Staatsregierung nur als Verhöhnung des mündigen Bürgers verstanden werden. Was wir darüber hinaus an Partizipationsmöglichkeiten im Bereich des lebenslangen Lernens erwarten können, dürfte unmissverständlich klar geworden sein.
Fazit
Der Änderungsantrag ist ein schwerer Angriff auf die demokratische Verfasstheit der Universitäten. Er zeugt von einem Menschenbild, das nicht den mündigen und aufgeklärten Menschen, der an der Gesellschaft und ihren Institutionen partizipiert, im Blick hat.
Der Änderungsantrag unterminiert das Solidarprinzip. Belastungen werden auf das Individuum übertragen, die Gemeinschaft zieht sich aus ihren Fürsorgepflichten zurück und entsolidarisiert sich.
Der Änderungsantrag kommt zur Unzeit – der Beginn des neuen Semesters läßt noch etwa einen Monat auf sich warten, viele Studierende besuchen ihre Lieben, führen Praktika durch oder verdienen sich im Nebenjob ein paar Euro zur Finanzierung ihres Studium dazu. Die Mobilisierungskraft der StuRä ist in diesen Zeiten erfahrungsgemäß eher geringer – ein Umstand, den die schwarz-gelbe Koalition bewusst ins Kalkül gezogen haben dürfte.
Es liegt an uns, ob wir es ihnen durchgehen lassen.
Volle Zustimmung!
Schließe mich an.
Was für einige Studenten als eine Bereicherung und Demokratisierung erscheinen mag, kann in Wirklichkeit zu einem echten Problem für uns Studenten werden:
– keine Freiversuche
– Studiengebühren für Überschreitung der Studienzeiten ohne Rücksicht auf Härtefälle
… und die oben bereits ausführlich erläuterten Einschränkungen der Handlungsfähigkeit des Stura
Es besteht Handlungsbedarf!
Herr Stein,
für den Fall, dass sie sich fragen…:
„Autor hin oder her“ ist nicht böse gemeint oder dergleichen. Galt einfach nur als Vorsicht ggü unserem Selbstverständnis als unparteiische und offene Initiative. Wollen nicht von außen missverstanden werden. Ihr Beitrag ist aber sehr schön formuliert. Ebenfalls Zustimmung.
Gruß,
Leipzig72
Zwangsmitgliedschaften sprechen nicht für piratige Ziele. Die Besetzung des StuRa und dessen Umgang mit Minderheiten lässt an vielen Hochschulen zu wünschen übrig. Viele Studierende sind mit der oft nach außen demonstrierten ideologischen Einfärbung nicht einverstanden. Darüber gibt es immer wieder Auseinandersetzungen an verschiedensten Hochschulstandorten. Die Möglichkeit des Austritts sollte Ansporn zur ideologischen Neutralität der verfassten Studierendenschaften sein. Keine Austrittsmöglichkeit zu haben ist „unpiratig“ und fördert die Arroganz der ernannten Vertreter der verfassten Studierendenschaft und nicht die Mündigkeit des Individuums. Die freie Entscheidung des einzelnen Studenten hier als Prinzip nicht gelten zu lassen, ist eine kritikwürdige Beliebigkeit.
>>Der Änderungsantrag ist ein schwerer Angriff auf die demokratische Verfasstheit der Universitäten. Er zeugt von einem Menschenbild, das nicht den mündigen und aufgeklärten Menschen, der an der Gesellschaft und ihren Institutionen partizipiert, im Blick hat.
Na, das ist wohl ein erfreuliches Eigentor für die argumentative Gegenseite. Mündige Menschen sprechen gerade für sich selbst und lassen das nicht zwangsweise von anderen geschehen. Aufgeklärte Menschen wählen frei, wo sie teilhaben. Wenn alle den StuRa gut finden, werden alle weiterhin Mitglied sein. Wenn nicht, sollte man sich überlegen wieso.
Wenn dies das Hauptargument für das Fazit ist wird sich die Seite gegenüber freuen.
@ Wer_auch_immer:
>> Zwangsmitgliedschaften sprechen nicht für piratige Ziele.
Doch tun sie. An der Stelle an der alle Mitglieder einer Gesellschaft (oder eines ihrer Teilsysteme) füreinander einstehen. Beispiele? Gesetzliche Krankenversicherung (derzeit kaputt weil’s eben die Möglichkeit des Ausstiegs gibt), Rentenversicherung (derzeit kaputt, weil die die einzahlen könnten es nicht müssen), Arbeiterunfallversicherung (funktioniert (noch)).
>> Die Besetzung des StuRa und dessen Umgang mit Minderheiten lässt an vielen Hochschulen zu wünschen übrig. Viele Studierende sind mit der oft nach außen demonstrierten ideologischen Einfärbung nicht einverstanden.
Handelt es sich bei diesen Studierenden um die 90% die regelmäßig zu faul sind den StuRa wählen zu gehen? Wenn ihnen studentische Vertretungen nicht passen: Wählen sie doch einfach eine andere. Nennt sich Demokratie.
Ah. Und wo wir gerade bei der Demokratie sind. Wollen sie bei Gelegenheit auch behaupten, es sei nicht „piratig“ die Gesetze der BRD anzuerkennen, nur weil sie hier leben aber nicht gefragt wurden ob sie sich an das Halteverbot halten wollen? Seh’n ’se auch. Oder?
>> Darüber gibt es immer wieder Auseinandersetzungen an verschiedensten Hochschulstandorten. Die Möglichkeit des Austritts sollte Ansporn zur ideologischen Neutralität der verfassten Studierendenschaften sein.
Wenn sie ideologisch neutrale verfasste Studierendenschaften wollen, können sie diese auch gleich abschaffen. Ideologisch neutral gibt’s nämlich nicht. Punkt. Die Forderung nach „ideologischer Neutralität“ beinhaltet immer „Nehmt meine Ideologie an, sie ist die einzig wahre“ denn auch Neutralität ist immer eine Funktion des eigenen Standorts.
>> Keine Austrittsmöglichkeit zu haben ist “unpiratig” und fördert die Arroganz der ernannten Vertreter der verfassten Studierendenschaft und nicht die Mündigkeit des Individuums.
Verfasste Studierendenschaften werden gewählt. Von den Studierenden. Fakt.
>> Die freie Entscheidung des einzelnen Studenten hier als Prinzip nicht gelten zu lassen, ist eine kritikwürdige Beliebigkeit.
Ihr Kommentar ist neoliberales Freiheitsgeschwurbel das dem Menschen – zu Ende gedacht – das Recht frei lässt alleine zu verhungern. Das ist nicht die Freiheit für die wir Piraten stehen.
(dies ist meine Privatmeinung. Sie muss sich nicht zwingend mit der Meinung der Piraten Sachsen decken, widerspricht aber keinem mir bekannten Beschluss.)
jeder für sich, immer wieder gern bemäntelt mit dem Argument des „freien Individuums“ führt i.d.R. zu Individualisierung die allen dienen, nur nicht den Studenten.
Schwache Interessenvertretungen, wie z.B. schon bei den Gewerkschaften sichtbar, führen dazu dass die Interessen langfristig einfach übergangen werden können. Das wenig „Arschhochreissen“ und wenigstens zur Wahl gehen zu können ist nicht so belastend als dass man es nicht auch als Studi schaffen könnte.
Wem die derzeitige verfasste Studentenschaft nicht passt dem steht es frei eine „Alternative Liste“ zur Wahl antreten zu lassen. Aber das ist zugegebenerweise mit Arbeit verbunden.
wird Zeit, das die Bürgr direkt entscheiden dürfen, welcher Politiker wieviel Diäten erhält! Wäre sozusagen der logische Umkehrschluß!
Für mich ist der Knackpunkt an der Sache vor allem eines:
Die Austrittsmöglichkeit würde andere demokratisch getroffene Entscheidungen außer Kraft setzen
Ich bin Student an der TU Dresden und hier muss jeder Student das Semesterticket kaufen(~150€ pro Semester, dafür ist der Nahverkehr in Sachsen mit dabei).
Es gab Abstimmungen darüber, ob das für alle verpflichten sein sollte. Dadurch, dass es jetzt alle kaufen, ist es erheblich günstiger geworden (zum Vergleich: alleine ein reguläres Jahresticket für den VVO kostet ~1400€/Jahr; der deckt aber nur einen Bruchteil von Sachsen ab).
Mit der Austrittsmöglichkeit würde die demokratische Entscheidung, dass wir ein solidarisch finanziertes Ticket haben, einfach außer Kraft gesetzt.
Ich habe nur 5 Minuten Laufweg zum Hörsaal, ich bräuchte eigentlich gar kein Ticket. Ich finde es trotzdem falsch, dass hier den Studenten das letzte bisschen demokratische Macht genommen wird.