Eine Person streckt eine Handfläche nach vorn. Darüber steht: "Chatkontrolle stoppen!"
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Ein Kommentar von Stephanie Henkel, Primärquelle die Arbeit von netzpolitik.org.

Der Kampf gegen die Chatkontrolle zieht sich nun bereits seit über drei Jahren und wir begleiten ihn als Piratenpartei von Anfang an. Doch in diesem Herbst könnte das Werkzeug zur Massenüberwachung endgültig beschlossen werden. Denn im Streit der EU-Institutionen um eine verpflichtende Chatkontrolle haben sich einige Positionen geändert. Auch Deutschland könnte jetzt kippen.

Wer will was?

Auf der einen Seite der Diskussion steht die Kommission, aktuell geleitet durch Dänemark. Diese will Internet-Dienste wie Messenger-Anbieter*innen dazu verpflichten, großflächig (auch verschlüsselte) Chats zu durchleuchten, um nach eventuellen Straftaten zu suchen und diese bei Verdacht an Behörden weiterzuleiten.

Auf der anderen Seite steht ein Parlament mit sehr gemischten Positionen, bei dem aber die Mehrheit aktuell noch das Vorhaben der Kommission als Massenüberwachung bezeichnet und ablehnt. Dieses hat in den letzten Jahren den Kompromiss angestrebt, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.

Doch auch wenn bisher noch jede Präsidentschaft daran gescheitert ist, eine Einigung im Rat zu organisieren, gibt es immer mehr Länder, die ins Wanken geraten oder bereits ihre Position geändert haben. Auch hat Mitte September die Arbeitsgruppe Strafverfolgung den Gesetzentwurf erneut verhandelt. Das Protokoll dazu hat netzpolitik.org veröffentlicht, die aktuelle Debatte macht eine endgültige Einführung der Chatkontrolle leider sehr wahrscheinlich.

Polens Kompromiss wurde rückgängig gemacht

In der jüngsten Vergangenheit hat die klare Position Polens gegen eine anlasslose Massenüberwachung uns alle vor der Einführung der Chatkontrolle geschützt. Denn Polen hatte bis Juni die Ratspräsidentschaft inne.

Es hatte vorgeschlagen, die Chatkontrolle freiwillig statt verpflichtend zu machen und verschlüsselte Kommunikation auszunehmen. Die neue Ratspräsidentschaft Dänemark hat diese Abschwächungen wieder rückgängig gemacht und fordert jetzt im Prinzip alten Wein in neuen Schläuchen.

Dänemarks Position als neue Ratspräsidentschaft

Dänemark, welches die Ratspräsidentschaft seit Juli innehat, setzt sich für die verpflichtende Chatkontrolle und Client-Side-Scanning ein und will, dass die Justiz- und Innenminister*innen den Gesetzentwurf am 14. Oktober annehmen.

Wie ein bettelndes Kind, dass durch ständiges Wiederholen des gleichen Vorschlages versucht seinen Willen durchzusetzen, legt Dänemark inhaltlich einen alten Entwurf vor und hofft, wenn es nur lang genug nach den gleichen Überwachungsmaßnahmen quengelt, wird schon irgendwann irgendwer kippen. Diese Taktik könnte jetzt allerdings tatsächlich aufgehen.

Zwar haben bisher die meisten EU-Staaten ihre bereits bekannten Positionen nicht geändert, aber alle Beteiligten werden jetzt unter vermeintlichen Zeitdruck gesetzt. Denn eigentlich ist eine Chatkontrolle laut E-Privacy-Richtlinie verboten, außer es liegt eine vorübergehende Ausnahme vor. Diese Ausnahme läuft nun im April 2026 aus. Was Dänemark natürlich als Druckmittel nutzt, dass jetzt etwas passieren müsse.

Zwar gibt es im Parlament noch keine Mehrheiten für den dänischen Vorschlag, aber es gibt immerhin Unterstützung von zehn Staaten. Darunter sind nicht nur langjährige Befürworter*innen wie Spanien, Rumänien und Ungarn, sondern auch das erst jüngst gekippte Frankreich.

Nur fünf Staaten zeigen eine klare Position gegen die Chatkontrolle. Neben Polen sind das die Niederlande, Luxemburg, Tschechien und Österreich.

Aber viele Staaten haben auch uneindeutige Positionen. Neben Schweden, Finnland, Slowakei und Lettland gehört dazu aktuell auch Deutschland.

Deutschlands Sonderrolle

Zwar war die Bundesregierung bisher gegen Client-Side-Scanning und das Scannen verschlüsselter Kommunikation, aber seit der letzten Bundestagswahl sieht das etwas anders aus. Denn CSU-Innenminister Alexander Dobrindt will mit seinem Ministerium von der harten Kante gegen die Chatkontrolle abweichen bzw. diese Position aufweichen. In der Öffentlichkeit verweist er auf die noch andauernde Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung.

Das Problem, wenn Deutschland kippt, kommt die Chatkontrolle. Denn von den 720 Sitzen im Europaparlament fallen auf Deutschland als bevölkerungsreichster Mitgliedsstaat 96 Sitze. Damit hat Deutschland die meisten Abgeordneten im Parlament. Bei den knappen und unsicheren Mehrheiten ist die Position Deutschlands entscheidend.

Chatkontrolle ist nicht die Lösung

Abgesehen davon, dass die Chatkontrolle nicht dazu geeignet ist, die Verbreitung der Darstellung von Kindesmissbrauch zu bekämpfen, wie selbst der deutsche Kinderschutzbund betont, ist sie auch einfach ein gefährliches Werkzeug für Massenüberwachung. Nicht nur viele zivilgesellschaftliche Gruppen lehnen sie deshalb ab, selbst der Juristische Dienst des EU-Rats bezeichnet sie als rechtswidrig und erwartet, dass Gerichte das geplante Gesetz wieder kippen würden.

Die aktuellen Pläne der Kommission sind technisch naiv, da es keine Lösung gibt, Chats zu durchleuchten, die nicht zu zig Fehlalarmen führen würde. Außerdem entsteht ein nicht hinnehmbares Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung durch das Aufbrechen verschlüsselter Kommunikation. Nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch für die Demokratie. Denn wenn nicht mehr sicher im Privaten kommuniziert werden kann, können sich vor allem bereits jetzt marginalisierte Menschen nicht mehr sicher fühlen und die Arbeit für Berufsgeheimnisträger*innen wird so gut wie unmöglich. Auch ist es zutiefst undemokratisch, alle Menschen, die sich digital austauschen, unter Generalverdacht zu stellen und Spähsoftware auf Geräten für das Client-Side-Scanning zu installieren.

Weiterer zeitlicher Ablauf

Zwar wäre die Kommission gesetzlich verpflichtet gewesen, einen Bericht mit Bewertung auf Verhältnismäßigkeit und technischen Fortschritt über die freiwillige Chatkontrolle vorzulegen, aber das ist bisher nicht passiert. Das, obwohl die Frist bereits am 4. September verstrichen ist.

Bereits am 7. Oktober will die Bundesregierung über ihre Position zur Chatkontrolle entschieden. Auch soll am 9. Oktober erneut die Arbeitsgruppe zur Chatkontrolle tagen, bevor sich dann am 14. Oktober die Justiz- und Innenminister*innen wieder treffen werden. Zu diesem Termin könnte der dänische Vorschlag zur verpflichteten Chatkontrolle angenommen werden.

Was können wir tun?

Bitte verbreitet die Informationen, die darüber aufklären, wie gefährlich die Chatkontrolle ist. Besonders viel Material findet ihr bei unserem ehemaligen Europa-Abgeordneten Patrick Breyer und auf der Bündnis-Seite „Chatkontrolle STOPPEN!“.

Außerdem könnt ihr euch direkt an unser Innenministerium und eure Bundestags- und Europa-Abgeordneten wenden. Schreibt Briefe, ruft an, geht zu Sprechstunden – macht klar, dass ihr nicht überwacht werden wollt!

Und seid dabei laut! Der Kampf zieht sich schon so lange, dass viele gar nicht mehr richtig aufpassen, wie der aktuelle Stand um die Chatkontrolle aussieht. Deshalb ist es so wichtig, gerade jetzt zu zeigen, wie nah ihre Einführung sein könnte!

0 Kommentare zu “Boxt Dänemark jetzt die Chatkontrolle durch?

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