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Bildung in Sachsen – Digitalisierung an Schulen

Man sieht eine Lehrerin in einem Klassenraum, welcher sehr alt wirkt. In den Raum ist an die Tafel ein Bildschirm mit Quellcode hineinmonitiert.

Das digitalisierte Klassenzimmer

Christian Piwarz hatte in den letzten Monaten gut zu tun. Der sächsische Kultusminister ist verantwortlich für das Voranbringen der Digitalisierung aller Schulen im Freistaat und befand sich 2020 deshalb auf einer regelrechten Tournee. Im Rahmen des Projektes „Digitalpakt Schule“  vergibt sein Ministerium rund 250 Millionen Euro für „[…] die Erstellung und Verbesserung der digitalen Infrastruktur in Schulen.“

Und darum gab es in den letzten Wochen kaum eine Regionalzeitung in Sachsen, welche Piwarz nicht dabei fotografierte, wie er mit stolz geschwellter Brust Schulleiter·innen oder Bürgermeister·innen einen Bewilligungsbescheid überreichte: 27,5 Mio für Leipzig, 8,6 Mio für Görlitz, 2,7 Mio für Meißen, 1,3 Mio für Döbeln, und so weiter. (SMK)
Und weil es zum Piratensein gehört, bei so viel toller Publicity skeptisch zu werden, haben wir uns einige Fragen zu diesem Digitalpakt gestellt.

Sooo viel Geld?

Eine Viertel Milliarde Euro – Das ist ein Betrag, der vielen von uns unvorstellbar hoch erscheint. Darum ist es wichtig, diesen in Relation zu setzen und anschaulich zu machen, wofür wir zwei kurze Rechenbeispiele anführen wollen:
(A) In Sachsen gab es im Schuljahr 2018/2019 insgesamt 1.359 öffentliche Schulen, sowie 462 Schulen in nicht-öffentlicher Trägerschaft, welche allerdings ebenso antragsberechtigt sind. Angenommen, alle Mittel würden gleichmäßig auf diese verteilt, so erhielte jede Schule rund 137.000 Euro.
(B) Die Bevorteilten der Digitalisierung sollten vor allem die Schülerinnen und Schüler sein. 484.700 waren das im Schuljahr 2019/2020. Würden alle gleichmäßig von den Maßnahmen profitieren, so wären das 515,78 Euro pro Kind.

Ist das nun viel oder wenig? Wenn es darum geht, für jede·n Schüler·in ein Endgerät (z.B. einen Laptop) bereitzustellen, dann schon. Will man aber auch noch die über 32.000 Lehrkräfte mit so einem Gerät versorgen und sie für deren Nutzung qualifiert fortbilden, dann übersteigt das schnell das Budget. Im nächsten Schritt gilt es also herauszufinden, wie die Gelder investiert werden.
Die Mittel aus dem Fördertopf sind zweckgebunden und sollen für „[…] die strukturierte Datenvernetzung der Schule einschließlich WLAN, Präsentations- und Interaktionstechnik wie digitale Displays, interaktive Tafeln und weitere Endgeräte wie etwa Tablets und Notebooks […]“ genutzt werden. Was das Kultusministerium hier locker flockig in einem Teilsatz herunterbricht, sind gleich mehrere Mammutaufgaben auf einmal:

  1.  Die Schulen sollen Lehrenden sowie Lernenden Zugang zum Internet ermöglichen, am besten auf dem gesamten Gelände und mit zeitgemäßer Lei(s)tung. Hierfür werden vor allem bei alten Schulhäusern bauliche Eingriffe erfolgen müssen.
  2. Der Ausdruck „Präsentations- und Interaktionstechnik“ ist sehr allgemein gehalten. In diese Kategorie fallen Projektoren, Smartboards, internetfähige Monitore, Soundsysteme und noch vieles mehr: die Schülerzeitung könnte mit neuen Kameras ausgestattet werden, der Chor mit neuen Mikrophonen, und und und. Solange die Schulträger den pädagogischen Nutzen darstellen können, sind solche Ausgaben denkbar.
  3.  Endgeräte wie Tablets oder Laptops werden hier in Klassensätzen benötigt. Wobei pro Schule mehrere Sätze zur Verfügung stehen sollten, damit verschiedene Klassen parallel damit arbeiten können. Weitere Exemplare für den Lehrkörper kommen natürlich dazu. Zu bedenken ist außerdem, dass Technik nicht nur hinzugefügt werden kann, sondern auch ersetzt werden muss. Sicherlich wird es Schulen geben, welche die Mittel dringend für ein Upgrade ihrer bestehenden Computer nötig haben.
    Nehmen wir unser Rechenbeispiel von vorhin und stellen uns vor, dass eine Schule für 137.000 Euro all das umsetzen muss. Schwierig. Doch unser Hauptkritikpunkt gilt nicht hauptsächlich der Höhe der Förderungen, denn – sind wir ehrlich – wir nehmen jede Investition in die Digitalisierung dankbar entgegen, …wenn sie sinnvoll ist. Und da ist der Knackpunkt.

Technik als Selbstzweck

Ein wirklich – wirklich – wichtiger Punkt ist im Digitalpakt leider nicht zu finden: Die Schulung der Lehrkräfte! Stellen wir uns ein Klassenzimmer vor, welches nach den Förderrichtlinien modernisiert wurde. Die Tafel ist einem internetfähigen Smartboard gewichen, jede·r Schüler·in nutzt ein Tablet und kann kabellos seine Aufzeichnungen an einen Beamer senden, usw.
Was nützt allerdings die neueste und beste Technik, wenn die Lehrer·innen nicht damit umgehen können? Seminare oder Schulungen sind kein Teil des Digitalpaktes und somit nicht finanziell gefördert. Dadurch bleibt es den Lehrenden nicht nur selbst überlassen, wie die Technik genutzt (geschweige denn im Notfall repariert) wird, sondern sie erhalten auch keine Anleitung, wie Lernziele und Technologien didaktisch sinnvoll verknüpft werden können. (In den Lehrplänen wird allerdings genau diese Vermittlung von Medienkompetenzen an die Schülerinnen und Schüler gefordert!) Dadurch wird billigend in Kauf genommen, dass die neue – teure – Technik Staub ansetzt, während der Unterricht wie gewohnt fortgeführt wird. Natürlich wird es solche geben, die sich alle Kniffs und Tricks im Selbststudium aneignen, keine Frage. Wir finden aber, das kann von einer Berufsgruppe, welche halbtags Kinder und Jugendliche unterrichtet und erzieht und die andere Hälfte mit Vor- und Nachbereitungen verbringt, nicht noch zusätzlich verlangt werden. (Inwiefern sich die Arbeit mit Technik des 21. Jahrhunderts überhaupt mit einem Schulsystem vereinbaren lässt, welches seine Wurzeln in der Kaiserzeit hat, ist ein weiterer spannender Punkt in diesem Zusammenhang. Die Stellungnahme zu dieser Frage würde allerdings den Rahmen dieses Textes sprengen.)

Ein weiterer Haken, der uns aufgefallen ist: Der Digitalpakt ist eine Einmalausgabe, Technik wird beantragt, ein Budget genehmigt, die Geräte angeschafft, fertig. Für die Folgekosten, also Pflege, Wartung und Reparatur der Geräte, ist aus diesem Fördertopf dann nichts mehr zu erwarten. Und nicht nur die Hardware, auch die Software, insbesondere die Erhebung, Nutzung und Speicherung von Daten wird in den Folgejahren ein stetiges Level an Aufmerksamkeit benötigen. Diese Aufgaben bleiben dann an den Schulträgern hängen. Entweder diese können den Mehraufwand als auch die -ausgaben dann stemmen oder sie müssen neue Gelder beantragen bzw. die Eltern einspannen (Vgl. „Kopiergeld“). Und wie muss man sich dann die Umsetzung vorstellen? Erledigt dann eine Lehrkraft nebenbei das, wofür in mittelständischen Unternehmen IT-Admins beschäftigt werden?

Phänomenal Digital?

Ist der Digitalpakt nun so hervorragend, wie es in Zeitung und Radio propagiert wird? Ja. … Nein. …Vielleicht?
Er ist ein richtiger Schritt. Spätestens Corona hat uns allen klar gemacht, dass unser Schulsystem noch nicht in diesem Jahrhundert angekommen ist, und die verschlafene Digitalisierung im Bildungssektor hat einen großen Anteil daran. Vorerst sollten die öffentlichen und privaten Schulträger das angebotene Paket bestmöglich dazu nutzen, den Kindern und Jugendlichen eine bessere Ausstattung anbieten zu können. Doch da darf es nicht aufhören.

Es bedarf einer anderen Form von Digitalität, als sie die Politik aktuell umsetzt: Sie sollte leicht erlernbar sein, allen Lehrer·innen vermittelbar sein und nicht der Technik als Selbstzweck dienen. Hinzu kommt, dass mit schlauen Ideen (und davon gibt es bei vielen Lehrkräften genügend) eine Menge Geld gespart werden kann, welches dann zu anderen Zwecken im Bildungssystem ausgegeben werden sollte. Es gibt also noch viel zu tun auf dem Weg in ein Schulsystem, das dem 21. Jahrhundert würdig ist.

Dies ist ein Kommentar von Manuel Wolf (Twitter) in Zusammenarbeit mit engagierten Eltern und (angehenden) Lehrer·innen.






1 Kommentar zu “Bildung in Sachsen – Digitalisierung an Schulen

  1. Meiner Meinung nach geht die Realität doch noch ein Stück weiter. Wer sich mal mit dem Förderantrag rumschlagen musste weiß, dass es neben den Positionen für Sachkosten auch ein sich an den Rahmenlehrplänen orientierendes pädagogisches Konzept geben muss. Hinzu kommen ein Weiterbildungskonzept und ein Supportkonzept.

    Der eigentliche Knackpunkt ist m. E. die Tatsache, dass den Antrag der Träger, also bei Schulen in kommunaler Trägerschaft die Kommune, stellt. Nun kann es sich der Träger leicht machen und damit einen externen Dienstleister für x % der Fördersumme (sagen wir mal 10%) beauftragen.

    Die meisten öffentlichen Träger sind nicht in der Lage, einen Eigenanteil aufzubringen. Es würde jetzt hier zu weit führen darzustellen, warum das dazu führt, dass nicht die tatsächlichen Fördergelder abgerufen werden können.

    Und ein weiterer berechtigter und vorrangiger Kritikpunkt ist die Lehrplanarbeit. Wie sind denn sächsische Lehrpläne auf die Lebenswirklichkeit von Schülerinnen und Schülern (Schlagwort Digitalität) abgestimmt? Wie soll sich denn ein, wie in der Beantragung gefordert, medienpädagogisches Konzept am Lehrplan orientieren, wenn dort zumindest stellenweise die Anknüpfungspunkte fehlen?

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