Als Bürger des Bundeslandes Sachsen und natürlich als Stadtrat für die Piratenpartei Deutschlands in Leipzig, habe ich den Artikel in der „Welt“ vom 27.02.2021 mit Interesse gelesen und bin auf folgendes Zitat gestoßen:
„Wir haben außerdem einen Staat, der uns an einer Stelle schützt, wo wir es gar nicht wollen, nämlich beim Datenschutz. Das muss enden. Die Bürger lassen, wenn sie es auf Facebook entscheiden können, viel mehr zu als immer angenommen wird. Die Digitalisierung hat riesige Chancen, aber wir sind hier extrem gehemmt.“
Leider musste ich beim Lesen feststellen, dass Sie mit dieser Aussage mangelndes Interesse, voraussichtlich sogar fehlende Kenntnisse beim Thema Datenschutz zeigen.
Einige Worte dazu seien mir also gestattet.
Herr Ministerpräsident, wenn ein*e Bürger*in, einen Zettel im Supermarkt mit den Kontaktdaten, der Telefonnummer, der Konfektionsgröße und den sexuellen Vorlieben am schwarzen Brett aushängt, begeht diese*r eventuell einen Verstoß gegen den guten Geschmack – aber nicht gegen den Datenschutz. Anders ist es bei einer Plattform, wie von Ihnen genannt „Facebook“. Menschen begehen keinen Verstoß gegen den Datenschutz mit der Preisgabe persönlicher Daten, sondern die Plattform begeht einen Verstoß, wenn sie diese Daten für andere als von den Nutzer*innen akzeptierten und in der AGB definierten Zwecke nutzt.
Aus dieser Pflicht, die Datenschutzbestimmungen einzuhalten, ergibt sich direkt die Pflicht des Staates, bei Verstößen dagegen einzugreifen. Und Staat und Politik haben hierbei die Aufgabe, die in langen Jahrhunderten erkämpften Grundrechte der Menschen – z.B. Recht auf die Privatspäre, Recht der Unversehrtheit der Wohnung oder das Briefgeheimnis – stets zu wahren und nicht auszuhöhlen. Datenschutz ist ein Grundrecht – und Datenschutz ist definitiv kein Hemmschuh bei der Entwicklung der Digitalisierung – Datenschutz ist die essentielle Voraussetzung für eine gelingende Digitalisierung.
Sehr geehrte Herr Kretschmer, Ihre Partei, die CDU, will u.a. einen digitalen Personalausweis, einen digitalen Impfpass und eine digitale Patientenakte einführen. Und Sie schließen mittlerweile sogar eine Impfpflicht nicht aus. Unabhängig davon, dass ich als Pirat diesen Entwicklungen kritisch gegenüberstehe – wie soll ein Restaurant oder Transportunternehmen den digitalen Impfpass auslesen, ohne dass die Frage geklärt ist, welche Daten erfasst, gespeichert und weitergegeben werden? Hat nicht schon der Umgang mit den Daten der Kontaktformulare in Gaststätten gezeigt, dass schon nach sehr kurzer Zeit die Polizei diese Daten zweckentfremdet genutzt hat? Wie sehr werden die Begehrlichkeiten des Staates wachsen, wenn erst einmal Impfdaten, persönliche Daten und Gesundheitsdaten verbunden werden können? Wie soll dann noch verhindert werden, dass Bewegungs- und Sozialprofile von Bürger*innen angelegt, ausgewertet und genutzt werden, dass z.B. Versicherungen die ‚Ungesunden‘ aussortieren und dass der Arbeitgeber die privaten Aktivitäten seiner Mitarbeitenden scannen kann?
Nein Herr Ministerpräsident, jegliche technische Entwicklung darf den Datenschutz nicht ‚untergraben‘, sondern Datenschutz muss prioritär und als ’nicht verhandelbar‘ im Zentrum stehen! Alles andere wird lediglich die Akzeptanz für jede staatliche Anwendung (App, Impfpass, …) wie Schnee in der Sonne schmelzen lassen. Die Menschen werden ihr Verhalten umstellen und z.B. ihr Handy ‚vergessen‘ oder sich vermehrt nur noch im privaten Raum treffen. Man wird die Ärztin belügen. Ehrenamtliches Engagement wird hinterfragt werden. Die Gesellschaft wird weiter auseinanderdriften und die Akteptanz gegenüber Politik und Staat wird weiter abnehmen.
Herr Ministerpräsident, in Ihrem Amt sind Sie verpflichtet die Bestimmungen der DSGVO und andere gesetzliche Bestimmungen zum Datenschutz durchzusetzen. Es ist nicht Ihre Aufgabe über deren Abschaffung oder Einschränkung zu spekulieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Köhler
1 Kommentar zu “Offener Brief zum Thema Datenschutz für MP Kretschmer”