Kommentar von Stephanie Henkel
Das Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz soll angepasst werden. Was eigentlich nur die Umsetzung einer Verfassungsgerichtsentscheidung sein sollte, ist jedoch ein umfangreicher Katalog für den weiteren Ausbau der Überwachung in Sachsen geworden.
Doch fangen wir von vorn an: Bereits 2018 und 2019 haben wir uns zusammen mit einer breiten Zivilgesellschaft gegen das neue Polizeigesetz eingesetzt. Das Gesetz, das neben Granaten und Maschinengewehren für die Polizei vor allem mehr Überwachungskompetenzen beinhaltet, hat damals einen lauten Protest auf der Straße und im Netz verursacht. Doch leider konnte dieser nicht verhindern, dass unter dem Namen „Sächsisches Polizeivollzugsdienstgesetz“ trotz allem Anfang 2019 die Gesetzesnovellierung eingeführt wurde. Seitdem gilt das Polizeirecht in Sachsen neben dem Bayrischen zu einem der restriktivsten in ganz Deutschland.
Aber der Protest war wie gesagt breit und so haben Landtagsabgeordnete der Grünen und Linken bereits 2019 einen Normenkontrollantrag vor dem Sächsischen Verfassungsgericht gegen das Gesetz eingelegt. Jahre zogen ins Land und im Januar 2024 gab es endlich eine Entscheidung, die allerdings nur einen teilweisen Erfolg darstellte. Denn das Gericht stellte zwar fest, dass das Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz in Teilen verfassungswidrig war, monierte allerdings lediglich die konkrete Ausgestaltung gewisser Paragrafen. Dem Gericht ging es nicht darum, dass die beschriebenen Maßnahmen kritisch waren, sondern lediglich darum, dass nicht genau genug festgelegt wurde, unter welchen Voraussetzungen welche Überwachungsmaßnahmen stattfinden durften. Zudem wurden Punkte, wie die eben beschriebenen Granaten oder Maschinenpistolen, überhaupt nicht kritisiert. Mehr Probleme und Details zum Verfassungsgerichtsurteil zeige ich auch in meinem Vortrag „Überwachung in Sachsen – Wenn die Polizei 1984 als Rechtsgrundlage nutzt„, den ich auf den Datenspuren 2024 gehalten habe, auf.
Auch wenn das Urteil leider keine großen inhaltlichen Änderungen verlangt hat, so hat es eine Überarbeitung des Gesetzes bis Juni 2026 festgelegt.
Um dem nachzukommen, wurde in der Sonderkabinettssitzung am 2. Oktober 2025 ein „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung polizeirechtlicher Vorschriften“ vorgestellt. Dieser enthält viele neue Forderungen für mehr Überwachung, die weit über die notwendigen Änderungen durch die Verfassungsgerichtsentscheidung hinaus gehen.
Den vollständigen Entwurf könnt ihr hier nachlesen. Konkret geht es um folgende Punkte:
Einführung von Distanz-Elektroimpulsgeräten (Taser): Einführung als Deeskalationsmittel für alle Polizeibeamte als nicht-tödliches Einsatzmittel. Die gemachten Erfahrungen werden nach einer Pilotphase evaluiert.
Die Einführung von Tasern als Werkzeug zur Deeskalation zu bezeichnen, hat zwar nichts mit neuen Überwachungsmaßnahmen zu tun, ist aber trotzdem im höchsten Maße zynisch. Natürlich kann eine Person, die nach dem Einsatz eines Tasers zuckend am Boden liegt, schwerlich weiter eskalieren, aber das darf doch nicht der Anspruch der Polizei sein! Auch ist Menschen nicht anzusehen, ob sie beispielsweise einen Herzfehler haben, wodurch der Beisatz mit den „nicht-tödlichen Einsatzmitteln“ nochmal einen ganz besonderen Beigeschmack erhält.
Sinnvoller wären hier mit Sicherheit Schulungen in Deeskalationstechniken für die Beamt*innen, anstatt ihnen noch eine Waffe mehr in die Hand zu drücken.
Drohnenabwehr: Befugnis zur Abwehr gefährlicher Drohnen durch verhältnismäßige Maßnahmen (z. B. Laser, Jammer, GPS-Störer) sowie zum Einsatz von Drohnen zur Lageerkundung.
Die Polizei soll also nicht nur Drohnen bekommen, um z.B. Störsignale zu versenden, sondern auch solche, die mit Kameras ausgestattet sind. Das ist neu und ein klarer Ausbau der aktuellen Überwachungsbefugnisse. Dazu kommt, dass nicht nur die Überwachungsdrohnen gefährlich für die Zivilgesellschaft sind, sondern natürlich auch die Störsignale gegen die Bürger*innen eingesetzt werden können. Denn GPS-Signale nutzen natürlich nicht nur „böse Terrorist*innen“, sondern auch beispielsweise Menschen, die eine Demoroute an ihren Mobilgeräten mitverfolgen wollen.
Verdeckte automatisierte Kennzeichenerkennung: Ermöglichung des verdeckten Einsatzes, um gesuchte Fahrzeuge unauffällig zu identifizieren und die Aufklärungsquote bei Kapitalverbrechen zu erhöhen.
Hier fällt Kenner*innen des Sächsischen Polizeirechts direkt die Überwachung mit biometrischen Daten in sogenannter Grenznähe ein. Gemeint ist damit das Grenzgebiet zu Tschechien und Polen. In einem Gebiet von 30 km zu diesen Auslandsgrenzen soll die Überwachung vereinfacht werden und die Hürden in diesem angeblich so „gefährlichen Gebiet“ herabgesetzt werden. Nur umfasst das Gebiet der „30 km Grenze“ rund 50 Prozent von Sachsen, u.a. auch weite Teile Dresdens. Die Praxis geht mittlerweile so weit, dass auch der Einsatz von biometrischer Gesichtsüberwachung in Sachsen mittlerweile in mindestens 21 Fällen gesichert im Gebiet Görlitz eingesetzt wurde. So berichtete auch netzpolitik.org, dass die Polizei Görlitz mit dem Einsatz von mobilen und stationären Geräten (PerIS, Personen-Identifikations-System) bereits 2024 in Ermittlungsverfahren den Verkehr überwacht und die Aufnahmen später händisch und automatisiert ausgewertet hat.
Die willkürliche Festlegung irgendwelcher Gefahrengebiete, sollte jedoch wieder rückgängig gemacht werden. Eine Festlegung, dass halb Sachsen wegen einer angeblichen Grenznähe hochgefährlich sei, ist nicht nur zutiefst rassistisch, sondern auch lächerlich.
Anlassbezogener Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten: Nutzung öffentlich zugänglicher Daten zur gezielten Fahndung nach schweren Straftätern und Terrorgefährdern.
Ein anlassbezogener Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten zur gezielten Fahndung klingt tatsächlich nach einer sinnvollen Maßnahme. Vor allem, wenn diese sowohl anlasslose Massenüberwachung als auch das Eindringen in private, verschlüsselte Kommunikation ersetzen würde. Auch wäre sie verdeckten Ermittlungsmaßnahmen vorzuziehen. Wenn sich darauf konzentriert werden würde, mit öffentlich zugänglichen Daten zu arbeiten, wäre dies zu begrüßen. Im Zusammenhang mit den weiteren geplanten Maßnahmen entsteht hier allerdings eine neue Datenbank, die zu weiteren Analysezwecken zu großen Datenbankanalysen hinzugezogen werden kann.
Automatisierte Datenanalyse: Einsatz moderner IT-Systeme zur Auswertung komplexer Datenmengen, z. B. bei der Bekämpfung von Terrornetzwerken oder Serienstraftaten.
Datenbankenanalysen sind eine der größten und abstraktesten Gefahren unserer Zeit. Durch das Zusammenführen verschiedener großer Datenmengen und der Analyse durch irgendwelche dahergelaufenen KI-Systeme, sei es das hochproblematische Gotham Palantir, oder eine „europäische Lösung“, werden Bürger*innen immer gläserner. Es werden Zusammenhänge, durch Metadaten, öffentlich zugängliche Daten, Polizeidaten etc. erschlossen, die nicht nur durch ihren Detailgrad hochbrisant sind, sondern durch den Einsatz von KI oft auch zusammen halluziniert. Zudem wecken diese wieder neu entstandenen „Superdatenbanken“ große Begehrlichkeiten und machen es noch attraktiver, die Polizei anzugreifen. Da selbst die Privatwirtschaft immer wieder beweist, dass sie nicht gefeit vor solchen Angriffen ist, bezweifle ich zutiefst, dass es unsere Polizei, die weniger Geld für ihre eigene IT-Sicherheit zur Verfügung hat, wäre.
Diese Analysen der Gesamtbevölkerung sind nicht nur ein Werkzeug, mit dem die Polizei sich Prognosen zusammenfantasieren kann, wer angeblich Straftaten begehen könnte, sondern auch ein gefährliches Werkzeug bei Angriffen auf den Staat, ob eben von Terrornetzwerken oder gar anderen Staaten.
Deshalb ist es schlicht machthungrig und verantwortungslos, überhaupt automatisierte Datenanalysen und „Superdatenbanken“ zu nutzen. Es gibt einfach Daten, die in einer freien Gesellschaft weder erhoben noch analysiert werden sollten.
Quellen-TKÜ: Rechtliche Grundlage zur Überwachung verschlüsselter Kommunikation im Einzelfall unter richterlicher Kontrolle.
Die Quellen-TKÜ bezeichnet das Überwachen von Telefongesprächen, die nicht über klassische Telefonverbindungen (Festnetz bzw. Mobilfunk), sondern über das Internet, auch verschlüsselt, geführt werden. Dafür werden die Geräte mit Spähsoftware infiziert.
Die „normale“ Telekommunikationsüberwachung ist aktuell in § 66 des Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes geregelt und ist sehr weitgreifend. Eine Erweiterung auf digitale Kommunikation, vor allem auch verschlüsselte Kommunikation, analog zur klassischen Telekommunikationsüberwachung, ist strickt abzulehnen.
Zukünftig soll auch noch der § 66a eingefügt werden, der die Unterbrechung oder Verhinderung der klassischen Telekommunikation definiert. Dieser enthält im Absatz 3 folgenden Satz:
Zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Gefahr für Leib oder Leben einer Person oder für solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, kann die Telekommunikationsverbindung auch ohne Kenntnis der Rufnummer oder einer anderen Kennung des betreffenden Anschlusses oder des Endgerätes unterbrochen oder verhindert werden, indem ein räumlicher Bereich, insbesondere eine Funkzelle, technisch blockiert wird.
Dieser Abschnitt klingt für mich nach dem systematischen abschotten von Demonstrationen. Gerade bei Protesten gegen rechtsextreme Aufzüge, wie die Demonstrationen rund um den 13. Februar in Dresden, sehen wir jedes Jahr Fehlverhalten der Polizei. Die Möglichkeit, ganze Demoblocks telefonisch abzuschotten, damit etwa der Kontakt zur anwaltlichen Vertretung unterbunden wird, ist hochgefährlich für die Versammlungsfreiheit.
Bodycams in Wohnräumen: Erweiterung des Einsatzes von Bodycams auf Wohnräume und Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten, um Einsatzkräfte in kritischen Situationen besser zu schützen
Anstatt die Polizist*innen mit Bodycams auszustatten, die im Zweifelsfall auch ausfallen, sollten diese lieber selbst erst einmal gekennzeichnet werden. Auch stellt eine zusätzliche Erhebung von Videomaterial in Wohnräumen einen harten Eingriff in die Privatsphäre und die Unverletzlichkeit der Wohnung dar und ist vollkommen unangemessen.
Präzisierung und Stärkung der polizeilichen Handlungsmöglichkeiten im Bereich häusliche Gewalt: Schaffung eines Gesamtpakets an Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, inklusive Datenübermittlungsbefugnissen zwischen Behörden und fachlich zuständigen privaten Stellen und Organisationen, um Betroffene schneller und wirksamer zu schützen.
Bei diesem Punkt kommt es ganz auf die konkrete Ausgestaltung an. Es sollen die §§ 19 (Wohnungsverweisung und Kontaktverbot), 61 (Elektronische Aufenthaltsüberwachung) und 84 (Datenübermittlung im innerstaatlichen Bereich) angepasst werden. Im ersten Eindruck wirkt eine schnellere Weitergabe von Informationen an Beratungsstellung sinnvoll und auch eine Konkretisierung der Abläufe klingt vernünftig. Leider konnte ich mich noch nicht mit Beratungsstellen austauschen, ob die konkreten Änderungen tatsächlich eine Verbesserung zur aktuellen Regelungslage darstellen oder nicht.
Einsatz intelligenter Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten: Gezielte Nutzung intelligenter Videoüberwachung, um Gefahren im öffentlichen Raum frühzeitig zu erkennen und die Bevölkerung zu schützen.
Anlasslose Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist prinzipiell abzulehnen. Zudem nützt es nichts, an angeblichen Kriminalitätsschwerpunkte alle Menschen, die zufällig an diesen Orten unterwegs sind, zu überwachen, da sich dadurch die Straftaten maximal verlagern, falls überhaupt ein Effekt spürbar sein sollte.
Der Einsatz sogenannter „intelligenter Videoüberwachung“ stellt hierbei jedoch noch eine ganz neue Stufe der Gefahr dar. Egal ob retrograde (rückwirkende) oder Echtzeit-Analysen, sie alle sind extrem fehleranfällig und durch die Daten, mit denen sie gefüttert werden, vor allem bei PoCs (Person of Colours) kommt es vermehrt zu Fehleinschätzungen.
Eine besondere Gefahr stellt hier auch das Sammeln von neuen Daten dar, die wieder mit Großanalysen ausgewertet werden könnten.
Wie dann Videoüberwachung auch noch nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch noch präventiv „die Bevölkerung“ schützen soll, lässt sich schwerlich sinnvoll erklären. Vermutlich geht es hier um Gefährder*innen-Analysen und auch wenn in Sachsen noch keine Präventivhaft, wie in Bayern, möglich ist, bekomme ich mehr als nur Bauchschmerzen beim Gedanken an diese Analysemöglichkeiten und wie sie eingesetzt werden könnten.
Unterm Strich sind die geplanten Änderungen eine absolute Katastrophe.
Statt den im Entwurf angeführten Maßnahmen, sollten lieber, wie wir bereits zur Landtagswahl 2024 gefordert haben, die Überwachungsmaßnahmen zurückgebaut werden. So sollten etwa die Kontrollbereiche (Gefahrengebiete) komplett abgeschafft werden. Außerdem braucht es eine tatsächliche Kennzeichnungspflicht von Polizist*innen und unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstellen, damit endlich Polizeigewalt und anderes Fehlverhalten verfolgt werden können. Auch müssen nicht nur die neuen Überwachungsmaßnahmen, sondern auch die bereits bestehenden, wie längerfristige Observation und Einsatz technischer Mittel, Einsatz verdeckter Ermittlungen und V-Personen, Überwachung der Telekommunikation oder Identifizierung und Lokalisierung von Telekommunikationsendgeräten massiv eingegrenzt werden. Nicht zu vergessen muss die Polizei wieder entmilitarisiert werden. In keinem unter demokratischen Voraussetzungen denkbaren Szenario sollte die Polizei mit Granaten und Maschinengewehren ausgestattet sein.
Noch ist der Kampf gegen die Neuerungen zum Polizeigesetz ganz am Anfang. Wir müssen uns jetzt zusammen tun und die Menschen aufklären und gegen den geplanten Entwurf vorgehen. Möglich ist dies etwa durch eine schriftliche Stellungnahme, die alle einreichen können.
Bis zum 30. Oktober können noch Stellungnahmen zu dem Entwurf verfasst werden. Auch dieser Text wurde als Stellungnahme eingereicht. Also macht mit und lasst uns jetzt zusammen den Protest gegen die neuen Überwachungsmaßnahmen für die Sächsische Polizei beginnen!


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