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Stellungnahme zum aktuellen Entwurf der Neufassung des Versammlungsgesetzes für Sachsen

Eine Gruppe demonstrierender Menschen von hinten

Wie soll das Versammlungsgesetz für Sachsen zukünftig aussehen? Hier lest ihr unsere vollständige Stellungnahme an das Sächsisches Staatsministerium des Innern:


Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank, dass Sie uns die Möglichkeit geben, eine Stellungnahme zum aktuellen Entwurf der Neufassung des Versammlungsgesetzes geben. Als Partei, die für die Wahrung der Grundrechte wie die körperliche Unversehrtheit und Versammlungsfreiheit einsteht, möchten wir kurz zum aktuellen Entwurf aus dem Innenministerium Stellung nehmen:

Zu §22 Absatz 5: Wir begrüßen die Pflicht zur Begründung von Einschränkungen. In unserer politischen Praxis haben wir festgestellt, dass das Versammlungs- und Politikgeschehen für Menschen ohne Fachkenntnisse oft undurchsichtig und kompliziert ist. Eine umfassendere Begründung und Erklärung von Verwaltungsmaßnahmen, insbesondere bei der Abwägung von Grundrechten, ist daher notwendig und fördert die Akzeptanz. Wir fordern daher, dass dieser Absatz häufiger im Gesetzestext verwendet wird. Insbesondere bei öffentlichen Versammlungen ist eine Begründungspflicht sinnvoll, z.B. bei der Überprüfung oder Ablehnung von Ordnungskräften. Obwohl Einschränkungen der Grundrechte theoretisch immer begründet sein sollten, haben wir in der Praxis festgestellt, dass solche Selbstverständlichkeiten ausdrücklich im Versammlungsgesetz stehen müssen, damit sie von staatlicher Seite in einer oft hektischen Versammlungsumgebung beachtet werden.

Zu §16 Absatz 1: Sollte die zuständige Behörde eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit feststellen, sind die Identifikationsdaten, bestehend aus den Namen und Geburtsdaten aller Ordnungskräfte, an die Polizei weiterzugeben. Die Anforderungen zur Überprüfung dieser Ordnungskräfte gemäß Absatz 2 sind für uns nicht klar. Bei Demonstrationen ist es bekannt, dass viele Menschen ihre persönlichen Daten ungern preisgeben, da sie lediglich von ihren Grundrechten Gebrauch machen möchten. Durch die geplante Gesetzesänderung ist es unserer Ansicht nach jedoch einfacher für die Polizei, die Identität aller Ordnungskräfte festzustellen, da die erforderlichen Anhaltspunkte in Absatz 1 nicht ausreichend präzisiert werden. Wir befürchten, dass diese Maßnahme auch bei friedlichen Versammlungen angewendet wird, die durch das Versammlungsrecht geschützt sind. Es besteht bereits ein Trend, wonach alle Ordnungskräfte auch bei kleinen und friedlichen Demonstrationen ihren Personalausweis vorzeigen müssen. Die geplante Änderung verstärkt diesen Trend, ohne klare Vorgaben zu setzen, was sowohl praktische als auch rechtliche Probleme schafft.
In der Praxis führt dieser Abschnitt zu langwierigen Verzögerungen vor jeder Versammlung. In der Regel sind die Ordnungskräfte erst zum Zeitpunkt des Versammlungsbeginns vollständig anwesend, und es gestaltet sich äußerst schwierig, die Namen und Geburtsdaten aller Ordnungskräfte zu sammeln. Bei typischen Demonstrationen in Dresden können dies 60-70 Personen sein. Zudem hegen wir Zweifel, ob bereits vor Beginn der Versammlung ausreichend „tatsächliche Anhaltspunkte“ gefunden werden können, die eine Überprüfung aller Ordnungskräfte und eine Verzögerung der Versammlung rechtfertigen. Dies setzt voraus, dass der Versammlung von vornherein eine gefährliche Absicht unterstellt wird. Dies wirkt sich erfahrungsgemäß negativ auf die Demonstrierenden aus und stellt alle Ordnungskräfte unter Generalverdacht. Die Versammlungsleitung ist besser in der Lage zu entscheiden, welche Ordnungskräfte für eine Demonstration geeignet sind und welche nicht. Eine Verlagerung dieser Kompetenz von der Versammlungsleitung weg lehnen wir ab.
Diese Punkte führen insgesamt dazu, dass es immer schwieriger wird, geeignete Ordnungskräfte zu finden, da viele von ihnen unsere Bedenken teilen. Dies macht es schwieriger, Versammlungen abzuhalten, was unserer Meinung nach dem eigentlichen Ziel der Gesetzesänderung widerspricht.

Zu §5 Absatz 4: Die Möglichkeit, dass eine Behörde die Leitung einer Versammlung übernehmen kann, ist für uns nicht verständlich und entspricht nicht unserer Erfahrung. Es ist zwar verständlich, dass die Behörden eine funktionierende Kommunikation in der Versammlung wünschen, jedoch kann diese nicht von oben aufgezwungen werden, da die Kommunikationsebene in der Versammlung fehlt. Aus unserer Sicht gibt es keine überzeugenden Gründe für eine praktikable Umsetzung dieser Maßnahme. Darüber hinaus betrachten wir das Recht, sich unter freiem Himmel ohne Versammlungsleitung und insbesondere ohne von einer Behörde eingesetzte Versammlungsleitung zu versammeln, als unveräußerliches Grundrecht. In der Vergangenheit gab es erfolgreiche Versammlungen ohne Versammlungsleitung, und die Polizei kann bereits verbindliche Auflagen für solche Versammlungen erlassen, ohne sie aufzulösen.
Wir begrüßen die Senkung des Mindestalters für Ordnungskräfte gemäß §6 Absatz 2. In der Vergangenheit haben wir in Sachsen viele Demonstrationen unterstützt oder geleitet, bei denen Jugendliche ab 16 Jahren eigenständig tätig waren. Es erschien uns absurd, dass Ordnungskräfte mindestens 18 Jahre alt sein mussten. Dies zeigt, dass die Qualifikation der Ordnungskräfte nicht ausschließlich vom Alter abhängt. Die zunehmend erfolgreichen Demonstrationen von Schüler:innen haben gezeigt, dass auch 14-Jährige für diese Aufgabe geeignet sind und sich ihrer Grundrechte bewusst sind. Viele junge Menschen möchten diese Verantwortung übernehmen und sind qualifiziert dafür. Es ist bedauerlich, dass eine Altersgrenze bürgerschaftliches Engagement behindert. Wir schlagen vor, über eine Senkung des Mindestalters auf 14 Jahre nachzudenken, freuen uns jedoch über die allgemeine Senkung. Es sollte klare Bedingungen im Gesetzestext geben und eine Rechtfertigungsklausel, um die Akzeptanz von Altersgrenzen zu erhöhen.

Zu §14 Absatz 6: Wir verstehen nicht, warum eine neue Formulierung für die Anmeldung von Eilversammlungen eingeführt wird. Dies führt zu unnötiger Rechtsunsicherheit. Wir befürworten die Beibehaltung der bisherigen Formulierung aus dem sächsischen Versammlungsgesetz.

Für Rückfragen stehen wir gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen